von Tatjana von der Beek
Bei der Recherche für meine Rezension zu „Die Welt vor den Fenstern“ stellte ich fest, dass der Roman ambivalent von den Leser*innen aufgenommen wird.
Mich hat der Debütroman von Tatjana von der Beek mit seiner ungewöhnlichen Geschichte durchaus überzeugen können, ich kann aber nachvollziehen, warum manchen Leser*innen das nicht so empfunden haben.
Der Klappentext, der eine von der Außenwelt abschottete Familie beschreibt, die das Haus niemals verlässt, suggeriert einen Spannungsroman, der an ähnliche Settings wie „Raum“ von Emma Donoghue erinnert.
Aber tatsächlich erinnern nur wenige Elemente in von der Beeks Roman an einen spannenden Krimi.
Die Ich-Erzählerin Maia lebt mit ihrer Familie in einem abgelegenen Haus in einem Wald und niemand verlässt jemals das Haus. Weder Maia noch ihre Cousine Alrischa ist jemals mit der Außenwelt in Kontakt gekommen. Die kleine Gemeinschaft lebt nach strengen Regeln und Hierarchien und alle Abläufe des Alltags sind stark ritualisiert.
Orientierung und Handlungsvorgaben bezieht die Familie aus den Sternen und ihren Konstellationen. Die Himmelswelt steht im Zentrum der Glaubenswelt und des Wertesystems der Gemeinschaft und nimmt im Roman ebenfalls viel Raum ein.
Kein Krimi, sondern detaillierte Sozialstudie
Mit den praktischen Details einer solchen Gemeinschaft hält von der Beek sich recht wenig auf, es bleibt unklar, wie sich die Gemeinschaft versorgt, unentdeckt bleibt, oder ob und wie frisches Genmaterial die scheinbar schon seit Generationen abgeschottete Familie erneuert.
Die deutsche Schriftstellerin stellt vielmehr die zwischenmenschlichen Aspekte und die sozialen Mechanismen in einer sehr kleinen abgeschlossenen Glaubensgemeinschaft in den Vordergrund.
Vor allem das Zusammenleben von drei Generationen von Frauen beschreibt Tatjana von der Beek fein ausnuanciert.
Ja, es gibt auch für meinen Geschmack einige Längen, denn als Maia beginnt, die Regeln und die Existenz der Gemeinschaft zu hinterfragen, geschieht das nur äußerst subtil. Erst am kurz vor Schluss nimmt die Handlung etwas Fahrt auf. Der Schluss selbst kann, genauso wie der gesamte Roman, als unrund und unbefriedigend empfunden werden und den Erwartungen, die der Klappentext geweckt hat, zuwider laufen. Mir gefiel das deutungsoffene Ende, das viel Spielraum für eigene Gedanken lässt.
Ohne die Erwartungen an einen Spannungsroman, las ich das Buch als atmosphärisch und stimmungsvoll, mit einer Aussage darüber, wie sehr sich Menschen in einer Idee oder in einem Glauben verrennen können und wie weit sie für den Erhalt ihrer eigenen Welt zu gehen bereit sind.
„Die Welt vor den Fenstern“ erschien als Hardcover 2022 beim Ecco Verlag und mittlerweile bei Nagel und Kimche als Taschenbuch erhältlich.
Vielen Dank an Harper Collins für das Rezensionsexemplar!
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