Ich habe eine große Vorliebe für die Lebensgeschichten von Menschen, die mir Einblicke in ganz andere Zeiten und Lebensrealitäten vermitteln.
So landete auch „Bardame gesucht-Zimmer vorhanden“ auf meiner Leseliste. Es zeichnet das Leben von Herta Lueger, geboren 1947, vom österreichischen Burgenland bis zur ihrer Arbeit als Domina und Clubbesitzerin in der Münchner Szene nach.
Herta Lueger ist lange Jahre das, was manche Menschen vielleicht umgangssprachlich als „Puffmutti“ bezeichnen würden.
Ihr Buch beginnt mit einem schrecklichen Ereignis, das einschneidend im Leben Luegers ist: die junge Aline, die sie für erotische Dienstleistungen vermittelt, wird von einem Freier getötet.
Lueger landet wegen Zuhälterei vor Gericht. Danach ist nichts mehr wie vorher.
Doch wie wurde aus der als Ältesten von 8 Kindern im ländlichen Burgenland geborenen Lueger die schillernde Domina, die 20 Jahre führend in der Müncher Szene für erotischen Unterhaltung sein wird?
Schon als Kind weiß sie, dass sie nicht wie anderen ihr Leben lang auf dem Rübenacker arbeiten will. Sie wird sie mit 16 schwanger und heiratet in eine Familie voller Alkoholiker ein.
Doch ihr kleines Kind stirbt tragisch und ihre unglückliche Ehe scheitert nach der Geburt des zweiten Kindes.
Nach einem Rosenkrieg, den Lueger kämpferisch mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln führt, geht sie nach München.
“Im München der Siebzigerjahre konnte ich so sein, wie ich war. Es klingt seltsam, aber das erste Mal in meinem Leben musste ich mich nicht mehr verstellen.”
Lueger ist gelernte Friseurin, eine Arbeit, die ihr zeitlebens viel Freude macht und zu der sie immer wieder gerne zurückkehrt. Auch in München arbeitet sie in einem Friseursalon und bald auch als Bar- und Animierdame.
Nachdem Lueger erste Erfahrungen als Domina gesammelt hat, bleibt sie im Milieu.
“Warum ich das tat? Ich denke, weil ich mich im Grunde als wertlos empfand.”
Oft anekdotisch, manchmal nachdenklich erzählt Lueger von dieser Zeit. Die Arbeit als Domina, später auch als Clubbesitzerin und Vermittlerin von Sexarbeit macht ihr viel Spaß.
“Was war so toll, könnte man fragen. Die Macht und das Spiel, jeder buckelte. Ich spürte eine Macht, die ich nicht für möglich gehalten hätte.”
Doch Lueger blickt keineswegs nostalgisch auf das Milieu. Ich bin geschockt, wie viele ihre Freundinnen und Kolleginnen trotz Sicherheitsvorkehrungen durch männliche Gewalt den Tod finden. Es war und ist immer noch ein großes Risiko, als Sexarbeiterin oder in der erotischen Unterhaltung tätig zu sein.
“Irgendwie war man als Frau, egal, was einem passierte, immer selbst schuld.”
Lueger, die sich für ihre Lebensgeschichte keine Ghostwriter geholt hat, sondern ihre Lebensgeschichte gemeinsam mit ihrer Tochter Patricia aufschreibt, erzählt hauptsächlich anekdotisch und anhand der wichtigen Ereignisse in ihrem Leben. Sie ist eine äußerst tatkräftige und energetische Frau, die sich in ihrem Buch wenig mit gesellschaftlichen und sozialen Zusammenhängen beschäftigt. Reflektionen über strukturelle sexistische Mechanismen im Milieu oder Gesellschaft findest du hier nicht.
Auch Überlegungen über die Geschlechterrollenzuschreibungen der jeweiligen Zeit finden sich eher selten. Dafür ist Lueger viel zu pragmatisch, unbemerkt bleiben sie ihr aber natürlich keineswegs.
“Es war paradox, ich hatte gut verdient, aber mein Mann rügte mich, dass seine Hemden noch nicht gebügelt waren.”
Luegers ungewöhnliche Lebensgeschichte spricht stattdessen für sich selbst und ist voller Licht und Schatten, voller Freude und Leid.
Sehr gerne bin ich mit ihr in ihre Erinnerungen an ein vergangenes Leben und an eine vergangen Zeit eingetaucht.
Ich habe mich darüber gefreut, dass Lueger mit ihren beiden erwachsenen Kinder ein so enges und gutes Verhältnis hat und ihr Buch leztendlich mit einem positiven Fazit endet.
„Bardame gesucht – Zimmer vorhanden“ ist kein analytisches Sachbuch, sondern eine eindrucksvolle autobiografische Erzählung über ein außergewöhnliches Leben. Herta Lueger berichtet ehrlich und direkt – und sehr unterhaltsam.
Ein großes Dankeschön an den unabhängigen Verlag Matthes und Seitz Berlin für das wunderschöne Rezensionsexemplar. Danke und viel Erfolg an Herta Lueger für das Buch!
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