Ich greife gerne und oft zu italienischer Literatur und habe mich gefreut, dass Italien das diesjährige Gastland der Frankfurter Buchmesse ist.
Mit „Malnata“ von Beatrice Salvioni hatte ich bereits das erste Highlight aus den vielen Veröffentlichungen zu Ehren des Gastlandes meinem Feed. Ein Highlight war „Der Morgen gehört uns“ zugegebenermaßen nicht, aber eine interessante und horizonterweiternde Lektüre.
Meine Lesepartnerin hat dazu maßgeblich beigetragen, denn ihre Kenntnisse zur Bildungssituation in Italien gerade in den Jahren, in denen Coppos Roman „Der Morgen gehört uns“ spielt, waren für mich sehr erhellend. Ettore, Coppos Protagonist, lebt Anfang der Nullerjahre in der Nähe von Mailand.
Ettores Elternhaus beschreibt Coppo als wenig liebevoll, wirklich geredet wird selten. Vor allem die Mutter hat hohe Ansprüche an die Bildung ihres einzigen Sohnes und er soll die höhere Schule besuchen. In dem neuen Schulumfeld fühlt sich der 17-jährige komplett verloren und überfordert, was er allerdings niemand anvertrauen kann.
“Ich wartete darauf, dass einer meinen Namen rief, mich bei der Hand oder am Arm nahm und mir erklärte, was ich tun sollte.”
In dieser Phase der Orientierungslosigkeit findet er neue Freunde, die ihn mit zur Federazione, einer faschistischen Jugendorganisation, nehmen. Dort kommt Ettore zum ersten Mal mit Information zu Italiens jüngerer Vergangenheit und politischen Theorien in Kontakt. In seinem Elternhaus und auch in der Schule wird nie wirklich über Politik und den vergangenen Faschismus unter Mussolini gesprochen. Scheinbar fand in Italien weniger Aufarbeitung der Geschichte der Zeit vor, während und nach dem zweiten Weltkrieg statt, als es bei uns in Deutschland der Fall war. Der Faschismus und die Verbrechen von Mussolini wurden und werden in der italienischen Wahrnehmung von der Bösartigkeit Hitlers und der Naziherrschaft überstrahlt.
Faschist in the making?
Ettore ist in einem sensiblen Alter, in dem das eigene Wertesystem oft noch nicht gefestigt ist und Coppo beschreibt gut, wie er unsicher versucht, sich für den richtigen Weg zu entscheiden.
„Nur, dass ich auf der Seite des Guten stehen wollte, das wusste ich sicher. Mit ganzer Seele wollte ich das. Auf der des wahrhaft, vollkommen und strahlend Guten, der einzigen Alternative zum Bösen, das aus Nichts und Finsternis bestand.“
Ich empfand Coppos Schreibstil, er lässt Ettore in der Ich-Perspektive erzählen, sehr distanziert und emotional reduziert, was gut zur Gefühlswelt eines jungen Erwachsenen passt, bei mir aber etwas wenig Lesefreude aufkommen lässt. Auch grundsätzlich war mir Ettores Entwicklung etwas zu reißbrettartig und zu konstruiert. Das könnte aber auf jüngere Leser*innen, die noch nicht mit vielen ähnlich aufgebauten Entwicklungsgeschichten konfrontiert wurden, ganz anders wirken. Als Schullektüre mit entsprechender Begleitung könnte ich mir den Roman sehr gut vorstellen.
Die Frage, was zieht junge Menschen zum Faschismus hin, beantwortet Coppo mit Ettores Geschichte nicht vollumfänglich, was auf Grund der multifaktoriellen und individuellen Gründen auch kaum möglich ist. Aber er zeigt einige Facetten und eine Ausgangssituation, die das Abdriften in eine extreme und letztendlich demokratiefeindliche Richtung begünstigen können.
Allein deshalb eine empfehlenswerte Lektüre, wenn auch kein unterhaltsames Lesehighlight.
Vielen lieben Dank an den Kjona Verlag für das schöne Rezensionsexemplar. Danke und viel Erfolg an David Coppo für den Roman!
Aus dem Italienischen von Jan Schönherr
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