Eine Stimme aus der Hölle
Dieses Jahr, am 6. August, ist es genau 80 Jahre her, dass US amerikanische Flugzeuge eine Atombombe auf Hiroshima abgeworfen haben. Die Bombenexplosionen töteten sofort insgesamt ca. 100.000 Menschen – fast ausschließlich Zivilisten. Bis Ende des Jahres starben weitere 130.000 Menschen an den Folgeschäden. Auch in den Jahren danach forderte dieser atomare Angriff noch weitere Todesopfer.
Einer dieser „Hibakusha“ (被爆者), so nennt man in Japan die direkten Überlebenden der Atombombe, war Hisashi Tôhara.
Er überlebt als 18-jähriger die Katastrophe in der Stadt und schreibt wahrscheinlich ein Jahr später seine Erinnerungen an diesen Tag nieder.
Zeit seines Lebens hat er diese Aufzeichnugen niemandem gezeigt. Übersetzer Daniel Jurjew nennt es in seinem Nachwort eine mögliche Form der Traumabewältigung.
Erst drei Jahre nach seinem Tod entdeckt seine Frau Mieko Tôhara das Heftchen und beginnt die Aufzeichnungen in kleinem Rahmen zu veröffentlichen.
Es ist vermutlich der emotionalen Intensität und der Authentizität seines Textes zu verdanken, dass er erst den Weg nach Frankreich und schließlich in eine deutsche Übersetzung fand.
Mich persönlich bewegt an Tôharas Text besonders, dass er mir eine Ahnung der Erschütterung vermittelt, die diese Bombe in dem jungen Mann und in seinem Weltbild ausgelöst hat. Auch ganz Japan war danach nie mehr dasselbe. Die Nachwirkungen und die Aufarbeitung dieser historischen Zäsur halten bis heute an.
“Der Egoismus beherrscht nunmehr die Gegenwart, und das Mitgefühl ist dünner als Papier geworden. Die Tugenden der Japaner – so etwas ist weit und breit nicht mehr zu sehen. Alle sind mit dem eigenen Überleben voll ausgelastet.”
Neben dem puren Kampf ums Überleben, den viele in seiner Umgebung nicht gewinnen, beschreibt Tôhara nachfühlbar seine eigenen, zwiegespaltenen Gefühle.
“Genauso malt man die Hölle. Aber mein Herz war so gelähmt, dass es weder Elend noch Mitleid empfinden konnte.”
“Mein starkes, nahezu moralisch verwerfliches Festhalten am Leben macht mir Angst.”
Besonders gut gefallen hat mir an diesem schmalen Heft, dass es mit ein Nachwort des Übersetzters Daniel Jurjew enthält, das Tôharas Text interpretiert, einordnet und in einen geschichtlichen Kontext setzt. Diese Ergänzung hat meine Lektüre sehr bereichert und vertieft.
Aus dem Japanischen übersetzt von Daniel Jurjew und Anika Koide. Mit einem Nachwort von Daniel Jurjew und einer Nachbemerkung von Mieko Tôhara.
Vielen lieben Dank an den Weidle Verlag und an Wallstein Verlag für diese Veröffentlichung und das gewünschte Rezensionsexemplar!

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