Eine Reise durch ein ungewisses Land von Ronya Othmann
In ihrem Roman „Vierundsiebzig“, der im vergangenen Jahr erschienen ist, beschreibt Ronya Othmann ihre Reise in die Region, in der 2014 der Völkermord an den Êzîden durch den IS seinen Anfang nahm, zusammen mit ihrem kurdisch-êzîdischen Vater.
Mich hat der Roman tief betroffen gemacht. Und es hat mich sehr gefreut, als er für den Deutschen Buchpreis 2024 nominiert wurde.
In „Rückkehr nach Syrien“ besucht Othmann mit ihrem Vater das Land nur wenige Wochen nach dem Sturz Assads.
Für beide ist es eine Rückkehr: Othmanns Vater als staatenloser êzîdischer Kurde floh 1980 aus Syrien. Othmann selbst besuchte die Familie ihres Vaters oft als Kind.
Gleich am Anfang ihrer Reise besucht Othmann das Gefängnis Saidnaya, das nach dem Ende der Assad Herrschaft geöffnet wurde. Ein ehemaliger Häftling führt sie durch die verlassenen Räume.
Die Beschreibungen sind so kurz nach der Öffnung frisch und beklemmend
„Ich bin entsetzt. Die Verbrechen des Assad-Regimes sind genauestens dokumentiert, und ein Großteil davon liegt hier in diesen Räumen, unbewacht. Und das, während die Menschen noch nach Informationen über ihre vermissten Angehörigen suchen.“
So weit es möglich ist, reist Othmann durch verschiedene Regionen und besucht verschiedene Städte wie Salamiyah, Idlib, Aleppo, Hama. Sie schildert das Straßen- und Stimmungsbild der Orte. Sie fragt die Menschen nach ihrer Geschichte und ihrer aktuellen Situation und spricht mit ihnen über ihre Hoffnungen für die Zukunft
Später reist sie auch in die alawitischen Gebiete, wo die Alawiten weiterhin der Gefahr von Übergriffen , Massakern und Entführung ausgesetzt sind.
„Die Frage ist nicht, ob Diktatoren gestürzt werden, denke ich, irgendwann fällt jede Diktatur. Die Frage ist, wie viel Zerstörung sie bis dahin anrichten. Und was danach kommt.“
Othmann erzählt von einem Land zwischen Hoffnung und Angst, beschreibt es als „zersplittertes Land“.
Eine Reise durch ein ungewisses Land
Sie zeichnet ein sehr differenziertes Bild von einer Region, die ich vereinheitlicht nur als große, stark religiös und patriarchal geprägte Krisenregion wahrnehme.
Vor allem Othmanns Beschreibung des kurdischen Nordostens klingen anders, hier scheint die Hoffnung bereits greifbar.
Der krasser Kontrast dazu ist das Gefangenencamp al-Hol. Dort herrscht im Inneren noch immer der IS.
Besonders zu Herzen geht mir die Schilderung eines Waisenhauses. Dort leben die Kinder êzîdischer Mütter, die durch Vergewaltigungen in der IS Gefangenschaft gezeugt wurden. Weil die êzîdische Gemeinschaft diese Kinder nicht anerkennt, sahen sich ihre Mütter gezwungen die Kinder zurückzulassen, um wieder in die Gemeinschaft und zu ihren Familien zurückzukehren.
Die noch kleinen Kinder haben Schreckliches erlebt und sind durch die Trennungen von ihren Müttern zusätzlich traumatisiert.
Wie bereits in „Vierundsiebzig“ schätze ich auch in “Rückkehr nach Syrien“ den niedrigschwelligen, persönlich erzählten und literarischen Zugang zu den komplexen politischen Themen, den diese persönlich erzählte Form von Othmann mir bietet.
Ich fand in „Rückkehr nach Syrien“ eine lesenswerte Momentaufnahme aus Syrien nach dem Ende des Assad Regimes.
Vielen lieben Dank an den Rowohlt Verlag für das Rezensionsexemplar. Danke und viel Erfolg an Ronya Othmann für ihre Arbeit, ihr Engagement und ihren Roman!




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