Heute ist der 18. November. Gestern war der 17. November und morgen ist sehr wahrscheinlich der 19. November.
Was für dich vielleicht trivial und selbstverständlich klingt, ist für Tara Selter, die Protagonistin von Solvej Balles Romanzyklus „Über die Berechnung des Rauminhalts“, seit mehr als 6 Jahren keine Realität mehr.
Sie ist nämlich in einer Zeitschleife gefangen.
Für alle noch nicht Balle-Infizierten: in der auf mehrere Bände ausgelegten Romanserie lernte ich in den vorausgegangenen zwei Bänden Tara Selter kennen, eine Frau, die feststellt, dass sich für sie ein und derselbe Tag, der 18. November, immer wieder wiederholt.
Das ist die Rezension zum vierten Teil des Romanzyklus und kann logischerweise Spoiler, die die vorausgegangenen Bände betreffen, enthalten.
Mittlerweile ist Tara nicht mehr alleine. Nachdem sie sich lange Zeit allein in der Zeitschleife gefangen wähnte, traf sie in Band III auf einen Mann und später sogar auf eine kleine Gruppe von Menschen, die ebenfalls den 18. November immer wieder erleben.
Im neuesten Band IV erweitert sich die Gruppe von vier auf neun und schließlich auf über fünfzig. Immer mehr Menschen schließen sich der Gruppe um Tara an, und sie werden sesshaft.
Es entwickelt sich eine Art kleine Community, die sich außerhalb der Zeit und des Lebens der anderen Menschen zusammengeschlossen hat.
Mir gefällt dieser Band ehrlich gesagt besonders gut, da ich eine große Vorliebe für Geschichten habe, die beschreiben, wie sich kleine Gruppen von Menschen nach dem Zusammebruch ihres alten Lebens neu organisieren muss und die ihre Gemeinschaft von Null neu aufbauen.
Sesshaft werden jenseits der Zeit?
So steht auch Taras Gruppe vor den verschiedensten Herausforderungen, die nicht nur logistischer Natur sind, sondern auch philosophischer und sozialer Natur.
Es wird viel diskutiert, wie sie als Gruppe gut miteinander leben können. Sie suchen nach gemeinsamen Begrifflichkeiten und Benennungen. Wie spricht man über etwas, für das es bis jetzt noch keine Worte gab und das jeder anders empfindet? Und wie einigt man sich auf eine neue Zeitaufteilung, wenn die Zeit nicht mehr linear in Wochen, Monaten und Jahren gemessen werden kann?
Zu Taras Geschichte, die weiterhin aus ihrer Perspektive in Form von schriftlichen Aufzeichnungen erzählt wird, kommen die von vielen anderen Zeitschleifengefangenen. Das bringt viel Dynamik in den Roman und auch Spannung.
Und obwohl die Erfahrungen und Geschichten der unterschiedlichen Menschen der Gruppe stark variieren, gibt es doch einige Gemeinsamkeiten, die wiederum Theorien über die Natur der Zeitschleife befeuern.
Und wie sollen sie ihre Zukunft planen oder gestalten? Nachdem sie jetzt bereits Jahre in der Zeitschleife verbringen, ist ein plötzliches Ende mehr als unwahrscheinlich. Werden sie älter werden und sterben?
„Aber sind wir Menschen? Und was ist man, wenn man kein Mensch mehr ist?“
Ich fand auch diesen Band einfach wieder eine super gelungene Mischung aus Sci-fi Elementen und literarischer und philosophischer Unterhaltung, und es hat mich mega gefreut, dass Solvej Balle mit Band I des Zyklus „On the Calculation of Volume“ dieses Jahr auf der Shortlist für den International Booker Prize stand!
Klar, ich bin ich ein Fangirl dieser Romane und fiebere nach dem Cliffhanger in Band IV auch wieder auf den nächsten Band hin. Ich möchte dich motivieren, einen Blick auf diesen Romanzyklus zu werfen, wenn du auf der Suche nach raffinierten Leseerlebnissen bist!
Und wieder gilt mein großer Dank Matthes und Seitz Berlin für die Zurverfügungstellung des sehr gewünschten Rezensionsexemplares. Danke und viel Erfolg an #solvejballe für ihren neuen Roman!
Aus dem Dänischen von Peter Urban-Halle





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