Schon lange wollte ich „Brüderchen“ lesen und jetzt hatte ich mir endlich die Taschenbuchausgabe gegönnt.
Und der Roman ist so, so gut und herzzerreißend!
„Brüderchen“ hat eigentlich schon die komplette Runde auf #bookstagram gemacht, deswegen will ich auch gar nicht mehr so viele Worte verlieren.
Dupont-Monod erzählt auf diesen nur 176 Seiten die Geschichte einer ganzen Familie über einen langen Zeitraum. In dieser Familie wird ein ganz besonderes Kind geboren.
„Noch begriff niemand, dass der Boden unter ihren Füßen Risse bekommen hatte. Bald würden die Eltern von den letzten unbeschwerten Tagen sprechen, denn tragischerweise erkennt man Sorglosigkeit immer erst, wenn sie vorbei ist.“
Niemand glaubt daran, dass es lange überleben wird. Doch das Kind lebt und wird geliebt.
Der Roman ist in drei Erzählperspektiven aufgeteilt, beginnend mit der Sicht des großen Bruders, gefolgt von der Schwester des Kindes und zum Schluss die eines nachgeborenen Geschwisterchens.
Der große Bruder entwickelt für sein Brüderchen eine große Fürsorge und Zärtlichkeit. Er lebt ganz für das zerbrechliche Kind, ordnet ihm alles unter, macht es zu seinem Lebensinhalt.
Mir gefällt diese Perspektive unglaublich gut und sie geht mir sehr nahe, denn sie fokussiert sich ganz auf den Gewinn und den Wert, den ein besonderes Kind mit sich bringt.
„Erst jetzt begriff er, wie viel das Kind ihm geschenkt hatte: Es mochte nicht in diese Welt passen, aber wer sonst konnte andere derart bereichern? Seine schiere Existenz bewirkte Unglaubliches.“
Dennoch wird der Bruder für seine große Liebe noch Preis zahlen müssen.
Ganz anders nimmt die Schwester ihr Brüderchen wahr. Für sie ist das Kind, das so viel Pflege, Aufmerksamkeit und Sorgen unwissentlich für sich Anpsruch nimmt, eine Belastung und eine Einschränkung. Sie sucht die Distanz zu dem Kind, und sieht auch ihren großen Bruder an das Kind verloren.
„Seit diesem Tag herrschte das Kind.“
Der Roman ist auch deshalb so eindringlich, weil Dupont-Monod auf jede Wertung verzichtet und in ihrer Sprache und Wortwahl unendlich sensibel mit ihren Figuren umgeht. Nie fallen abwertende, richtende Sätze oder Worte. Das ist bei einem Buch mit dieser Thematik sehr wertvoll und ich schätze es wirklich sehr.
Sensibles und wertschätzendes Wording
Dupont-Monod zeigt in einer wunderbaren Komplexität, wie sich die Familie mit dem Brüderchen verändert, wie das Brüderchen trotz seiner begrenzten Anwesenheit und Handlungsmöglichkeiten Raum eingenommen hat. Wie lange sein Einfluss nachhallt.
Ich bin selbst Teil einer großen Familie und dieser authentische, zarte Roman hat mich sehr bewegt und meinen Blick auf den Wert des Lebens nochmals geschärft.
Und das würde ich schon als großes Geschenk betrachten.
Falls du den Roman noch nicht kennst, lege ich ihn dir gerne ans Herz. Scheinbar ist „Brüderchen“ bis jetzt der einzige Roman, der von der französischen Schriftstellerin ins Deutsche übersetzt wurde.
Erschienen 2023 beim Piper Verlag.
Aus dem Französischen von Sonja Finck
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