„Da war doch nichts“ ist nach „Tote Schwäne tanzen nicht“ schon der zweite Roman des neuen Anthea Verlag, der sich auf Bücher aus Mittel- und Osteuropa spezialisiert hat, den ich lese. Es ist wieder Literatur aus Tschechien und es ist das literarische Debüt von Jakub Stanjura.
Das Thema auf dem Klappentext hat mich sehr angesprochen, denn es geht um Manipulation und Gaslighting.
Stanjuras personale Erzählerin Daniela lernt schon als Kind, dass sie ihren eigenen Wahrnehmungen überhaupt nicht vertrauen kann.
Von ihrer Mutter wird sie regelmäßig geschimpft, dass sie zu stark zunimmt und tatsächlich werden ihre neuen Kleider immer schnell zu eng und zu klein.
Allerdings merkt sie irgendwann, dass die Mutter ihre Kleidung extra falsch wäscht, damit sie eingeht.
Als sie die Mutter irgendwann damit konfrontiert, streitet sie natürlich alles ab und sagt, dass Daniela sich alles nur einbildet.
Auch sonst bleibt in Danielas Familie vieles unausgesprochen, auch zwischen ihr und ihrer Schwester. Woher hat Jana jeden Sommer diese blauen Flecken? Warum spricht sie nicht mit ihr darüber, sondern leugnet schlicht deren Existenz?
Als Daniela erwachsen ist und sich eigentlich längst aus dem Lügengeflecht ihrer toxischen Familie gelöst hat, lernt sie Štěpán kennen.
Er versteht ihren starken Wunsch nach Validierung ihrer Gefühle und bestärkt und beschützt sie.
Oder?
Stanjura erzählt Danielas Geschichte jeweils anhand kleiner Zeitausschnitte, die immer aus dem August sind. Im August ist es heiß und die Wahrnehmung kann verschwimmen.
Oder?
Ich finde, wie Stanjura die Beziehung von Daniela und Štěpán beschreibt vor allem gegen Ende des Romans sehr beklemmend und sehr nachvollziehbar. Alle Lesenden, die selbst schon Erfahrungen mit Gaslighting haben, können bestimmt Danielas Zweifel an ihrem Urteilsvermögen und vor allem ihre große Hilflosigkeit nachfühlen.
„Ich hab den Eindruck, dass ich langsam verschwinde, als ob ich irgendwo hinter einer Glasscheibe bin, und die wird jeden Tag dunkler.»“
Ein spannender und psychologisch schmerzhaft akkurater Roman, den ich gerne weiterempfehle!
Erschienen ist der Roman im Frühjahr beim unabhängigen Anthea Verlag und wurde von Mirko Kraetsch übersetzt.


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