Mattias Timander ist ein junger schwedischer Kulturjournalist und freier Autor, der 2024 seinen Debütroman „Dein Wille wohnt in den Wäldern“ veröffentlicht hat. In der Autorenbeschreibung kann ich lesen, dass Timander der ethnischen Minderheit der Tornedaler angehört und seinen preisgekrönten ersten Roman im Original teilweise im tornedalischen Dialekt sowie der Minderheitensprache Meänkieli geschrieben hat.
Deswegen hatte ich erst gezögert, ob ich den Roman lesen möchte, denn ob sich diese sprachliche Ebene ins Deutsche übertragen lässt, kann ich natürlich nur schwer beurteilen.
Aber wenn nicht sprachlich, so hat mich die Geschichte doch auf ganz anderer Ebene interessiert.
Timanders Erzähler lebt in einem sehr kleinen nordschwedischen Dorf und seine Lebensrealität ist stark von der Natur und den Jahreszeiten geprägt.
“Ich dachte an den Winter. Ich freute mich drauf. Es würde gut zusammenpassen: mein Dauerschlaf und das Schlummern des Waldes. Wenn sich der Wald ausruhte, durfte ich es auch.”
Seine Eltern sind gestorben, obwohl er gerade erst Anfang 20 ist, aber er findet Ansprache und Geborgenheit bei einer älteren und allein lebenden Frau in seinem Umfeld.
Der erste Teil des Romans wird in einer ruhigen, einfachen Weise erzählt und berichtet vom Alltag des Erzählers, seinen Begegnungen und seiner Gedankenwelt. Manchmal fühlt er sich einsam und fragt sich, wie ein anderes Leben jenseits des Dorfes aussehen könnte.
Irgendwann findet er ein altes Buch, und er beginnt zu lesen. Zwischen den Buchdeckeln entdeckt er eine ganz andere Welt jenseits seiner bisherigen Vorstellungskraft. Ein Gefühl, das auch mir sehr vertraut ist.
“Genau wie der Wald wurde das Buch zu einer Zuflucht. In den Wald gehen. Ins Buch. Ich las es von vorne bis hinten, obwohl es sehr dick war, und es wurde still in meinem Kopf.”
Der Erzähler taucht immer weiter in die Welt der Literatur ein, sein Horizont weitet sich und seine Sehnsucht nach etwas anderem wird immer größer.
Schließlich bricht er aus seinem Leben aus und er zieht in die Stadt.
Dein Wille wohnt in den Wäldern
Timander beschreibt im zweiten großen Teil des Romans, was der Erzähler in der Stadt erlebt und wie sich sein Leben dort im starken Kontrast zu seinem Leben auf dem Land entwickelt.
“Aber es war schon irgendwie anders in der Stadt. Es war nicht wie zu Hause. Es war im Grunde eine ganz andere Sprache, und so hatte ich plötzlich zwei.”
Im Grunde erzählt der Roman eine klassische Heldenreise. Klassisch finde ich auch, wie Timander das Thema des Kontrasts zwischen Landleben und Stadtleben herausarbeitet. Vieles, was der Erzähler erlebt, ist symbolhaft. Beispielsweise die Frauenfiguren, denen der Erzähler begegnet. Auf dem Land ist es die ältere Frau, die Geborgenheit und Wärme spendet, in der Stadt ist es die aufregende junge Frau, die fasziniert, aber auch gefährlich sein kann. Das kann man mögen, ist jetzt aber in dieser Vereinfachungen und Objektifizierung von Frauen nicht so mein Fall.
Mir gefällt vielmehr, wie Timander die Frage behandelt, ob es erstrebenswerter ist auf dem Land oder in der Stadt zu leben, und ob er diese Frage überhaupt stellt.
Ebenfalls super interessant finde ich die Rolle der Literatur in seinem Roman, und was mich in seiner Bearbeitung ein bißchen a den Steppenwolf von Herman Hesse erinnert.
Und auch wenn ich den Roman auf Deutsch lese, kann ich in der Übersetzung von Hanna Granz die Unterschiede in Ton und Melodie der Stadt- und Landpassagen erkennen und auf mich wirken lassen.
„Dein Wille wohnt in den Wäldern“ ist im allerersten Programm des nagelneuen Allee Verlags erschienen, der sich Literaturen aus europäischen Sprachen widmet, die auf dem deutschsprachigen Buchmarkt bisher unterrepräsentiert sind.
Ein Verlag, den ich im Blick behalten werde!
Ein großes Dankeschön an den Verlag für das schöne Rezensionsexemplar und an Birgit Böllinger und ihrem Büro für Text und Literatur. Danke und viel Erfolg an Mattias Timander für die deutsche Ausgabe seines Romans!
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