Warum wir Frieden wollen, aber Kriege führen. Eine Menschheitsgeschichte
Von Harald Meller, Kai Michel, Carel van Schaik
Mit Harald Meller, Archäologe, Professor und Museumsdirektor, Kai Michel, Historiker und Literaturwissenschaftler und Carel van Schaik, Verhaltensforscher und Evolutionsbiologe, hat sich ein richtiggehendes Dream Team für ein wissenschaftsübergreifendes Sachbuch zusammengetan.
Meller und Michel kenne ich schon von ihrer Veröffentlichung „Das Rätsel der Schamanin“, was mich auf vielen Ebenen begeistert hatte.
In “Die Evolutionären der Gewalt” schauen die renommierten Wissenschaftler weit zurück in die Menschheitsgeschichte bis zu unseren Vorfahren und betrachten dabei auch unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen und Bonobos.
Das Hauptanliegen der Autoren ist es, unseren tief verankerten Glauben, dass Krieg in der Natur des Menschen liegt, also quasi unveränderbar in unsere Gene eingeschrieben ist, zu widerlegen.
Es geht um nichts weniger als um die Frage: Ist der Mensch dem Menschen wirklich ein Wolf?
Denn auf die ganze Evolution betrachtet, verliefen 99% im egalitären Zusammenleben ohne kriegerische Auseinandersetzungen und erst das letzte 1% der Menschheitsgeschichte ist geprägt von Gemetzeln und Kriegen.
Meller, Michel und van Schaik belegen diese Annahme anhand von archäologischen Funden und zeigen die evolutionäre Logik dahinter auf.
Seit wann gibt es Krieg?
Der Ursprung der kriegerischen Gewalt fällt mit einer drastischen Veränderung unserer Lebensweise zusammen und wird von den Autoren zusammenfassend und verkürzt folgendermaßen beschrieben:
„Ausgangspunkt liegt in den beschriebenen Prozessen des Sesshaftwerdens und der Erfindung der intensiven Landwirtschaft. Sie führten zu Überbevölkerung, unstillbarem Ressourcenhunger und Hyperkonsum, aber vor allem zu herrschaftsbasierten Gesellschaften, unter denen sich Staaten als die effektivsten Kriegsmaschinen erwiesen.“
“Es ist eben nicht der Krieg aller Menschen. Es ist der Krieg von Staaten: Herrscher ziehen in den Krieg, Untertanen werden in den Krieg gezwungen. Auch handelt es sich nicht um den menschlichen Urzustand. Der total gewordene Krieg ist ein Zivilisa-tionsprodukt, die originäre Leistung sogenannter Hochkulturen.”
Besonders positiv bewerte ich den großen Raum, den die Wissenschaftler der Bedeutung von Geschlechterdynamiken und den Geschlechterunterschieden im Krieg einräumen, denn „Kriege sind nun mal, betrachtet man die Seite der Akteure, im Wesentlichen Männersache – und ja, es existieren markante Geschlechterunterschiede hinsichtlich der Gewalt.“
Aber auch die materialistische und toxischen Männlichkeit liegt nicht von Anbeginn des Menschens in unseren Wurzeln.
“Patriarchat und Krieg erblickten gemeinsam das Licht der Welt – als siamesische Zwillinge.”
Das Kapitel „Krieg gegen Frauen“ allerdings fällt dann in meinen Augen dann enttäuschend und verkürzt aus und wirkt leider ein bisschen wie eine Pflichtübung.
Grundsätzlich ist „Die Evolution der Gewalt“ wieder eine wunderbare und bei Sachbüchern nicht so häufige Kombination aus Wissensvermittlung, Aufklärung und Unterhaltung. Das trifft vor allem auf die ersten beiden drittel des Buches zu, wenn von Ausgrabungen und archäologischen Funden und ihrer Interpretation die Rede ist.
12 Lektionen gegen den Krieg
Gegen Ende von „Die Evolution der Gewalt“ bringen Meller, Michel und van Schaik zwölf evolutionär gewonnene und archäologisch abgestützte Lektionen gegen den Krieg in Stellung, mit denen wir als Homo sapiens erstmals in der Geschichte in der Lage sein sollten, dem Krieg etwas entgegenzusetzen.
Und natürlich begrüße ich das hoffnungsvolle Fazit der Autoren, dass es möglich sein sollte, den Weg des Krieges als Menschheit wieder zu verlassen, ich persönlich glaube aber nicht daran, dass das so schnell passieren wird.
„Denn Gewalt gegen Menschen ist eine Bankrotterklärung aller Menschlichkeit. Unwürdig für eine Art, die so stolz auf ihre Vernunft ist wie der Homo sapiens. Der Krieg ist ein Skandal.“
Erschienen ist das Buch 2024 beim dtv Verlag. Vielen lieben Dank an den Verlag für dieses wunderbare und sehr gewünschte Weihnachtsgeschenk!
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