Ich war gespannt, welche Geschichten sich hinter dem farbenprächtigen Cover verstecken würden und ich wurde überrascht. Denn „Die liegende Frau“ steckt voller komplexer, vielschichtiger Fragen, ausgearbeitet in einem literarisch ansprechenden und anspruchsvollen Stil.
Und es ist ein Roman voller Leben.
Im Mittelpunkt des dritten Romans der Schweizer Autorin Laura Vogt stehen die Freundinnen Nora, Romi und Szibilla, alle um die dreißig. Oder eigentlich erst mal nur Romi und Szibilla, denn Nora ist mit ihrer kleinen Tochter zu ihrer Mutter gefahren und hat sich ins Bett gelegt. Sie steht nicht mehr auf und spricht nicht mehr. Weltschmerz, Überforderung oder eine depressive Phase?
Ein Rückzug aus Überforderung?
Ihre Freundinnen Romi und Szibilla, die beide eigentlich nicht miteinander, sondern nur mit Nora befreundet sind, reisen ihr nach und quartieren sich in einem nahegelegenen Wellnesshotel ein. Während der erzwungenen gemeinsamen Zeit der beiden Frauen werden die Unterschiede in ihren Lebensentwürfen zum Thema und zum Streitpunkt. Romi ist schwanger mit ihrem zweiten Kind und ist in einen zweiten Mann verliebt. Sie ist sich nicht sicher ob und wie eine Liebe zu dritt funktionieren könnte. Szibilla hingegen findet es grundsätzlich unverantwortlich Kinder in eine untergehende Welt zu setzten und setzt Beziehungen mit Abhängigkeit gleich.
Im Laufe der Tage verschärfen sich die Konflikte auch in Hinblick darauf, wie sie Nora am besten helfen können.
Anhand dieser Konstellation diskutiert Vogt grundsätzliche Fragen, die vielleicht genau in diesem Alter, wo viele Weichen für die Zukunft noch gestellt werden können, sehr relevant sind.
Wie will ich leben? Wie lebe ich verantwortungsvoll und wie lebe ich frei? Wieweit verletzt Romi mit ihrem Wunsch nach einem anderen Mann ihren Partner und was schuldet sie sich selbst und ihren Kindern?
Früher gab es den Traum der Eltern von der Kleinfamilie. Für die heutige Generation junger Menschen ausgeträumt oder unterschwellig immer noch der Maßstab?
Vogt spannt den Erzählbogen bis in die Elterngeneration, denn wir werden alle von unserer Vergangenheit und Prägung beeinflusst.
Findet Romi Antworten in der Vergangenheit bei den Entscheidungen ihres Vaters?
Szibilla hingegen vermeidet Bindung, doch wo liegen ihre wahren Gründe dafür.
In Vogts Roman „Die liegende Frau“ ist alles im Fluß, alles in der Schwebe. Die Fragen bleiben offen, regen mich zum Nachdenken an. Mir gefällt, wie Vogt die Notizen Romis als zusätzliche innere und intime Erzählstimme einbringt und dann wieder die Perspektive zu den anderen wechselt und ich Romi mit den Augen der anderen sehen kann.
Dieser Effekt verstärkt die multiplen Facetten von Lebensrealitäten und entzieht sich so einer finalen Antwort oder Wertung.
Wer entscheidet über das richtige Lebensmodel?
Die literarische Sprache, die Vogt vor allem in Romis Notizen anwendet, gefällt mir außerordentlich gut. Weniger gefällt sie mir in den Dialogen, da sie auf mich hier zu gesetzt, zu konstruiert und zu wenig authentisch wirkt. Inhaltlich reißt Vogt sehr viele Themen an, es liegt am Lesenden, ob diese Vielfalt als Wiederspiegel des Lebens betrachtet wird oder als überfrachtet empfunden wird. Bei mir war es letzteres, ich hätte mir eine stärkere Ausarbeitung einiger einzelner Aspekte gewünscht.
Der Roman hat bestimmt großes Potential tief einzudringen und dort nachzuwirken, was sich bei mir aber nicht ganz entfalten konnte.
In Summe war „Die liegende Frau“ für mich ein tiefschichtiger Roman, der mich sprachlich und inhaltlich sehr angesprochen hat. Vogt hat mich in die Gefühlswelten und Lebensrealitäten dieser Frauen mitgenommen und ich bin ihr gerne gefolgt.
„Es geht darum, dass das Unbenennbare existiert, flackernd und fließend. Und dass darin sehr viel Schönheit liegt.«“
Vielen lieben Dank an die Frankfurter Verlagsanstalt und Laura Vogt für das Rezensionsexemplar!
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