LIEBESMÜHE von Christina Wessely

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Liebesmühe Christina Wessely Rezension

Beim Lesen von „Liebesmühe“ kam einiges davon wieder hoch und wurde präsent, aber auf eine heilsame Art. Denn der Roman von Christina Wessely zeigt, unter anderem, dass ich mit meinen ambivalenten Gefühlen nicht alleine bin.

Wesselys Erzählerin ist vor kurzem zum ersten Mal Mutter geworden. Eigentlich ist alles ziemlich perfekt, es ist mutmaßlich ein Wunschkind, die Beziehung ist intakt, es gibt finanzielle Reserven und es ist Hilfe in Form von Eltern und Schwiegereltern vorhanden.

Dennoch bricht die Erkenntnis, ab jetzt an 24/7 für ein hilfloses Neugeborenes verantwortlich zu sein, wie ein Tsunamie über die junge Mutter ein. Sie ist von den Veränderungen in ihrem Leben überfordert und die Angst den Anforderungen als Mutter nicht zu genügen lähmt sie. Die Bewältigung des Alltags mit Baby wird zu einer unbewältigbaren Aufgabe. Die emotionale Überforderung und der Wunsch, einfach alles hinter sich lassen, wird immer extremer, bis hin zum Suizidgedanken.

Dieser erste, sehr persönliche und authentische Teil von „Liebesmühe“ hat mir sehr gut gefallen und machte mich gleichzeitig ziemlich traurig, beim Gedanken an die vielen verzweifelten Frauen*, denen es genauso geht wie der Erzählerin.

Denn auch wenn das Krankheitsbild der nachgeburtlichen Depression mittlerweile ein bißchen mehr Aufmerksamkeit bekommt, ist es nach wie vor ein Tabuthema. Es ist gesellschaftlich noch nicht ins Allgemeinwissen gesickert, dass eine Geburt ein lebensverlängernde Einschnitt ist, der nicht notwendigerweise das Ticket zum Glück sein muss.

In der zweiten Hälfte mehr aufklärender Essay

In der zweiten Hälfte des Romans begibt sich die Erzählerin auf die Suche nach den gesellschaftlichen und sozialen Zusammenhänge ihrer Depression. Dieser Teil geht weg von dem individuellen Erleben der Erzählerin und hat mehr Essaycharakter. Das gefällt mir weniger gut und hält auch nicht unbedingt neue Erkenntnisse für mich bereit.

Zu ideologisch aufgeladenen Themen wie Hypnobrithing und Baby led weaning habe ich schon länger eine eigene Meinung, die von meinem feministischen, aber auch von meinem naturwissenschaftlichen und pragmatischem Mindset als Ingenieur*in und natürlich von meinen eigenen Erfahrungen als Elternteil eingefärbt sind.

Dennoch sind diese Abschnitte wirklich sehr gut recherchiert und bringen historischen Kontext und neueste Entwicklungen sehr gut und kritisch auf den Punkt. Ich begrüße sehr die feministische Aufklärung dahinter und die Entmystifizierung weiblich gelesener, vermeintlich natürlicher Rollenaufgaben.

Schlußendlich berühren mich die letzten zwei sehr persönlichen Absätze sehr, auch wenn ich den Roman  insgesamt zweigeteilt beurteilen möchte.

Ich bin sehr, sehr froh, dass die Erzählerin/Autorin keine Absätze gestrichen hat, wie sie es laut Epilog gerne getan hätte. Dass sie den Mut gefunden hat, sich meinem Urteil und dem anderer Leser*innen auszusetzen. Ich wünsche mir mehr von diesem ehrlichen und reflektierten Umgang mit dieser sensiblen Lebensphase der Veränderung.

  • Liebesmühe Klappentext
  • Christina Wessely

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