Silke Maier-Witt mit André Groenewoud: Ich dachte, bis dahin bin ich tot

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Ich dachte bis dahin bin ich tot Silke Maier-Witt

– Meine Zeit als RAF Terroristin und mein Leben danach

Und gleich nach den ersten Seiten bin ich absolut gefesselt und sehr, sehr positiv von der reflektierten Art Silke Maier-Witts überrascht.

Der Titel und Untertitel tut dem Buch und Lebensgeschichte Maier-Witts unrecht, indem er beides auf ihre Zeit als RAF Mitglied reduziert, auch wenn es die Zeit ist, die sie bis heute in gewisser Weise definiert.

Heute ist Maier-Witt eine der wenigen Beteiligten des engsten RAF-Kreises, die sich, anders als Brigitte Mohnhaupt der Christian Klar, öffentlich selbstkritisch äußern.

So ist auch ihre Autobiografie stark geprägt von authentischer Selbstreflektion.

Beginnend in ihrer Kindheit und Jungend, die zwar ohne finanzielle Sorgen, dafür aber mit viel Schweigen und wenig Liebe war, erzählt Maier-Witt wie in ihr der Wunsch wuchs, sich für gesellschaftliche Veränderung und Revolution einzusetzen.

Wie viele ihrer Generation wünschte sie sich eine Aufarbeitung der Nazizeit, sowohl in der eigenen Familie wie auch in der Gesellschaft.

Ein Kind ihrer Generation

Und immer wieder fragt sie sich, wie sie sich so weit von ihren eigentlichen hohen moralischen Ansprüchen und dem Traum von einem besseren Miteinander und Zusammenleben entfernen konnte. Die heutige Silke Maier-Witt blickt voll Reue, Scham und Traurigkeit auf ihr jüngeres Ich, das bei der Planung von fruchtbaren Taten schwieg und sich sogar daran beteiligte.

„Irgendwo hab ich gelesen, dass das meiste Übel in dieser Welt die Folge von aggressiven Handeln gegen das Übel ist. Auch die beste Absicht rechtfertigt nicht das Töten von Menschen. Ich denke dass Nachsicht, Achtung und Liebe die Triebkräfte sein müssen, die Veränderungen bewirken und dass ist auch unter marktwirtschaftlichen Bedingungen so.“

Nie, wirklich nie, verfällt Maier-Witt in ihrer Autobiografie in einen Modus der Rechtfertigung oder Abminderung ihrer Schuld. Den persönlichen Preis, den sie für ihre Mitgliedschaft in der RAF und ihre Zeit im Untergrund gezahlt hat, ist hoch, wird aber von ihr niemals mit dem von ihr verursachten Schmerz und Leid in Relation gesetzt.

Die Zeit in der RAF nimmt nur einen kleinen Teil in dem mittlerweile sehr langen Leben und der Autobiografie der Silke Maier-Witt ein. Die Schilderungen ihrer Zeit unter falscher Identität in der DDR finde ich genauso spannend und sie sind ein interessantes Zeitzeugendokument. Es dauert viele Jahre bis die immer nach einer besseren Gesellschaft strebenden Maier-Witt erkennt, dass auch die DDR auf Täuschung, Machtausübung und letztendlich Gewaltausübung beruht. Wo hört der Idealismus auf und wo fängt die Verblendung an?

Idealismus oder Verblendung?

Maier-Witts Einsatz für ihre Ideale und ihr humanistisches Menschenbild zieht sich letztendlich durch ihr ganzes Leben und führt sie schließlich, nach ihrer Zeit im Gefängnis, als Friedensfachkraft in den Kosovo. Dort setzt sie sich als studierte Psychologin viele Jahre für eine bessere Verständigung zwischen Serben und Albanern ein.

Die Autobiografie von Silke Maier-Witt gibt in meinen Augen einen sehr, sehr lesenswerten und aussagekräftigen Einblick in gleich mehrere Kapitel deutscher Zeitgeschichte. Auch auf persönlicher Ebene bewegt mich ihre Geschichte sehr und macht mich auch sehr nachdenklich. Auch ich selbst habe in meinem Leben schon falsche Ideale verfolgt, wenn auch mit wesentlich geringeren und ohne strafrechtlich relevanten Auswirkungen.

Maier-Witts Buch ist ein Appell genau zu hinterfragen, welche Ziele und Ideale wir in unserer Gesellschaft und auch individuell verfolgen wollen und welche Mittel wir dafür einsetzen.

Ich habe diese Autobiografie mit großem Interesse und persönlichem Mehrwert gelesen und halte sie auch für gesellschaftlich relevant. Deswegen wünsche ich mir für dieses Buch viele weitere Leser*innen.

  • Silke Maier-Witt und André Groenewoud
  • Ich dachte bis dahin bin ich tot Silke Maier-Witt Klappentext

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