oder: Wann sprechen wir endlich vom Matriarchat? Eine Streitschrift von Gertraud Klemm
Phallozän? Ich habe bei dem Begriff gleich gewisse Assoziationen und bräuchte eigentlich keine Erläuterung, aber ich möchte schon genauer sein und würde hier gerne Klemms eigene kurze Erklärung einfügen:
Der Begriff „Phallozän“ wird in „…verschiedenen Sprachen für unterschiedliche destruktive Ausprägungen des Patriarchats benutzt; ich möchte mit ihm das Zeitalter eines völlig aus dem Ruder gelaufenen Patriarchats verbildlichen, das sich an die Schaltstelle aller Mächte katapultiert hat und von dort aus seine zerstörerische Kraft ausübt.“
Also falls du es noch nicht gemerkt hast, ist die Streitschrift von Gertraud Klemm feministischer Natur. Ich kenne und verfolge Gertraud Klemms Romane schon viele Jahre und sie waren für mich ein wichtiger Bestandteil meiner literarischen und feministischen Sozialisierung. Die letzten Wochen stand Klemm allerdings aus anderen Gründen im medialen Fokus, da einige ihrer Aussagen von manchen als transexklusiv und/oder transfeindlich angesehen wurden.
Ich würde ihre Streitschrift „Abschied vom Phallozän“ als einen ur-feministischen Text ansehen mit globalen und universellen Anspruch, der ganz viele Diskussionsräume öffnen will.
Dass ich bei manchen Punkten vielleicht eine andere Meinung habe, ändert für mich nichts an meiner grundsätzlichen Freude daran, dass Klemm den Mut hat, ihre visionären und feministischen Ideen in einer Streitschrift zu veröffentlichen und sich damit zu exponieren.
„„Abschied vom Phallozän“ ist ein Gedankenspiel über patriarchale Dekonstruktion, matriarchale Inspiration, humanistische Reife, über die Notwendigkeit der kolonialen Schubumkehr und über die Frage: Kann der Feminismus mehr als »smash patriarchy«? Wer wird die Welt retten, und wie?“
Ich persönlich denke, dass ich Klemms Ideen und Visionen (leider?) nicht so schnell in Umsetzung erleben werden und das ein Ende des Phallozän noch lange nicht in Sicht ist und von der Mehrheit auch nicht gewünscht wird.
Abschied vom Phallozän? So schnell wohl nicht…
Aus ihrer Streitschrift nehme ich trotzdem gerne einigen Input mit, wie beispielsweise ihre Gedanken zum Thema der Kleinfamilie als Keimzelle der weiblichen Ausbeutung. Und als Atheist*in kann ich die meisten ihrer Punkte zum Thema Religion mitgehen. Auch die Entwicklungen im Ökofeminismus finde ich interessant und global gesehen vielversprechend, auch wenn Klemm einräumt, dass es in der breit aufgefächerten Diskussion um diese Bewegung Moderniseriungsbedarf gibt.
Hier, genauso wie bei vielen anderen Punkten, betont Klemm ihr Bedauern über die zunehmende Zerfaserung und Zersetzung des zeitgenössischen Feminismus.
„Je tiefer ich in die ökofeministische Agenda und ihre greifbaren Erfolge eintauche, desto weltfremder und sinnloser erscheint mir der akademische Diskurs, den wir als Feminismus bezeichnen.“
Als Feminist*in habe ich die Streitschrift mit großem Interesse gelesen und mit meinen eigenen Gedanken abgeglichen. Klemm hat meinen Blick geweitet, indem sie auf bereits existierende Matriarchate weltweit schaut und deren gesellschaftliche Strukturen vorstellt.
Dass das genauso wie bei Klemms anderen Themen immer nur sehr verkürzt ausgefallen ist, fand ich etwas schade und ist wahrscheinlich der Tatsache geschuldet, dass „Abschied vom Phallozän“ eine Streitschrift und kein ausführliches Sachbuch ist. Für eine weiterführende Lektüre findest du im Anhang Klemms verwendete und empfohlene Literaturliste.
Vielen lieben Dank an den unabhängigen Matthes & Seitz Berlin für das gewünschte Rezensionsexemplar. Danke und viel Erfolg an Gertraud Klemm für ihre Streitschrift!

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