Ich mag eigentlich nicht so gerne Geschichten, die auch nur entfernt an einen Roadtrip erinnern. Und die Kurzbeschreibung von „Auf der Kippe“ klingt einfach verdächtig nach einem Roadtrip. Eine (hoch!) schwangere Frau irrt nach einem Erdbeben durch Portland, und das auch noch „mit unbestechlichem Witz“ erzählt? Gleich mehrere Zutaten, die ich abtörnend finde.
Aber es stellte sich (mal wieder) heraus, dass ich über Klappentexte nicht zwangsläufig urteilen sollte, denn ich mochten den Roman sehr, sehr gerne. Und er war zum Glück auch gar nicht so witzig, ha, ha.
Tatsächlich erzählt Emma Pattee die Geschichte der schwangeren Annie emotional sehr authentisch und fein nuanciert. Interessant ist dabei das Wechselspiel aus den spannenden Szenen, die direkt während und nach dem Erdbeben spielen und den leiser und tiefgründig erzählten Passagen mit den zeitlichen Rückblicken auf Annies Beziehung und ihre Vergangenheit.
Hier zeigt Pattee eine treffende Analyse über das Erwachsen- und Älterwerden, wenn die Zukunftsträume dem Realismus des Alltags weichen müssen.
„Und dann stellst du unweigerlich fest, dass nicht nur du und deine Freunde diesen Traum hegen, sondern alle. Hunderttausende, Millionen von Menschen. Alle wollen Stars sein. Alle meinen, sie hätten das Zeug dazu.”
Wenn still und heimlich der Zeitpunkt gekommen ist, an dem eine anfänglich vielversprechende Künstler*innenkarriere sich unter dem Zwang, Geld verdienen zu müssen, einfach verabschiedet hat. Und wenn die einstmals stürmische Liebesbeziehung in einen gemütlichen aber etwas langweiligen Safe Space verwandelt hat.
Was steht wirklich auf der Kippe?
Ich liebe ja Romane, die sich mit dem Überleben nach Naturkatastrophen, Pandemien oder schlicht der Apokalypse beschäftigen und bin als Ingenieurin entsprechend kritisch bei deren Realitätsgehalt in der Umsetzung.
Hier habe ich bei Pattees Interpretation des großen Erdbebens in Portland bis auf ein paar Kleinigkeiten wenig zu meckern. Pattee sagt in der Danksagung selbst, dass sie sich im Dienst ihrer Geschichte dann doch die eine oder andere Freiheit genommen hat und von wissenschaftlicher Exaktheit abgewichen ist.
Ich verfolge Annie also gebannt auf ihrem Weg durch die zerstörte Stadt und habe eine supergute Lesezeit. Natürlich kann ein Roman mit einer hochschwangeren Ich-Erzählerin scheinbar nur auf eine mögliche Art enden, aber selbst mit dieser Vorhersehbarkeit habe ich in diesem Fall kein wirkliches Problem.
Ich fand „Auf der Kippe“ ist ein auf zwei Zeitebenen toll erzählter Roman, der sich superluftig lesen lässt, ohne dass er zu trivial daherkommt.
Wenn Emma Pattee nach ihrem Debüt noch weitere Romane veröffentlicht, landen die sofort auf meiner To-read-Liste.
Erschienen 2025 beim Piper Verlag.
Aus dem amerikanischen Englisch von Stefanie Jacobs.





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