Ich lese grundsätzlich gerne autobiografische Romane, möchte gerne im Leben anderer das pure Menschsein finden. Eventuell mag ich es auch, durch das Lesen an anderen Erfahrungen teilhaben zu können (wo ist die Grenze zum Voyeurismus?).
„Bis ich wieder atmen konnte“ von Lorenzo Amurri gefiel mir besonders gut.
Lorenzo Amurri schreibt intensiv und authentisch über sein Leben nach seinem schweren Skiunfall, der ihn von der Brust abwärts lähmt. Er ist erst 26, als der Unfall ihn aus seinem bisherigen Leben reißt und der Aufprall ist hart. Ich erfahre nicht allzuviel über sein vorheriges Leben, nur dass es dem Leben eines jungen Gottes geglichen haben muss. Wir reden vom exzessiven Leben eines angehendes Rockstars, der alles hat: ein aufregendes Leben mit Reisen, Drogen, einer wunderhübschen Freundin und die Leidenschaft zur Musik.
Amurri schreibt in der Zeit nach dem Unfall über seinen körperlichen und seelischen Zustand und ist dabei sehr offen. Immer wieder thematisiert er seine große Verzweiflung und seine Trauer über den Verlust seines alten Lebens und seiner vielversprechenden Zukunft. Er denkt oft Selbstmord.
In der Retroperspektive erkennt er, wie er, gefangen im Selbstmitleid und Stolz, seine Familie, seine Feund*innen und seine Lebensgefährtin, ausgrenzt und verletzt. Er schottet sich immer mehr ab, kann seine Situation unmöglich akzeptieren. Sein eigenes Selbstbild erlaubt es ihm nicht, sich selbst als im Rollstuhl sitzend und permanent auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein, zu sehen. Lieber möchte er sterben.
Ich denke viel von seinem Verhalten ist seinem jugendlichen Alter und seinen noch jungen Lebenserfahrungen zuzuschreiben, denn er hat zwangsläufig noch nicht die nötige Reife um mit einer solchen existenziellen Krise umzugehen. Doch hat man die jemals?
Jetzt ist er gezwungen sich mit einer furchtbaren Situation auseinanderzusetzen was ihm großen Wachstumsschmerz verursacht.
Mein Mitgefühl und Sympathie für ihn ist sehr groß.
Das erreicht Amurri auch durch seinen wundervollen Schreibstil, der sehr tiefgründig ist und ihn verletzlich und verwundbar zeigt. Beim Schreiben findet er den Ausdruck für seine Gefühle, die er lange im Leben nicht finden kann.
Mich hat diese Autobiografie sehr angesprochen und es wundert mich, dass der Roman jetzt erst auf deutsch vom nonsolo Verlag veröffentlich wird und das auch nur im vermutlich kleinen Rahmen. Ich hoffe, meine Rezession kann euch erreichen und ihr verwendet einen zweiten Blick auf dieses Buch.
Lorenzo Amurri starb 2016.
Aus dem italienischen von Dr. Ruth Mader-Koltay
Vielen Dank an den nonsolo Verlag und @lovelybooks.de für das Rezessionsexemplar!
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