Ich arbeite seit 15 Jahren für eine amerikanische Firma mit Hauptsitz in Milwaukee, Wisconsin. Und ich bin ungebrochen fasziniert von diesem unglaublich vielschichtigen und diversen Land und seinen Menschen.
Ich liebe auch schon sehr lange amerikanische Literatur, die mir kleine Einblicke in die Geschichte und Mentalität des Landes schenkt.
Deshalb war „BOXENSTART“ ein perfektes Buch für mich. Kathryn Scanlan blickt dort in ein ganz spezielles und abgegrenztes Milieu Amerikas: Das des Pferderennsportes.
Auch die Erzählform ist speziell und besonders. In knappen und unkommentierten Episoden erzählt Sonia, eine Pferdetrainerin aus dem amerikanischen Mittleren Westen, von ihrem Leben. Sie tut das als Ich-Erzählerin mit ihrer ganz eigenen Stimme, was die fiktive Figur unglaublich authentisch und lebendig werden lässt. Sonia selbst ist eine pragmatische Frau, die aus ihren oft harten Lebensbedingungen das Beste herausholen will. Und sie ist ein Survivor.
Sonia liebt Pferde, was sie schon als junges Mädchen in die Mühlen des Pferderennsports treibt. Der Pferderennsport ist in den USA (und wahrscheinlich auch in anderen Ländern) vor der Jahrtausendwende (und vielleicht auch noch heute) ein brutales und durch und durch kapitalistisches Geschäft. Pferde und Menschen sind das Kapital, weil sie dort maximal ausgebeutet werden.
Mensch und Tier als vermarktbare Ware
Scanlan arbeitet die Widersprüche, die die Arbeit im Rennsport für Sonia bedeutet, in der ihr eigenen Art intensiv heraus:
“Ich habe es geliebt, die Rennpferde zu galoppieren. Ich wärmte sie auf, ritt sie ein, arbeitete sie. Ich begleitete sie zum Start. Ich tat alles, was ein Jockey tut, außer Rennen zu reiten.”
Die Rennpferde zu galoppieren, sie zu arbeiten. Die benutzen Verben verdeutlichen aus, was die Pferde sind. Sie sind eine Ware auf dem kapitalistischen Markt und werden behandelt wie ein Produkt. Die Menschen, die sie lieben und umsorgen sind Teil dieses ausbeuterischen Mechanismus. Und gleichzeitig beschreibt Sonia auch immer wieder die Freude an der Arbeit mit den Tieren.
Dabei ist Sonia nicht in der Position von jemanden, der strukturell etwas verändern will oder kann. Sie nimmt die Zustände als gegeben, nur im Kleinen tritt sie für ihre Schützlinge ein, kann kleine Veränderungen bewirken.
Auch für sich selbst ist sie mit ihrem sicherlich nicht perfekten Leben im Reinen, das spüre ich. Einem Leben, das für von außen betrachtet für andere klein und unwichtig scheinen mag.
Sonia wurde von Männern schlecht behandelt, sie hat Schicksalsschläge erfahren und trotzdem gilt am Ende: Sie gewinnt.
Ich fand in „BOXENSTART“ ein stilistisch und inhaltlich ziemlich spezielles Buch, das ich in einer Session durchgelesen habe und meinen Wunsch nach American Spirit sehr gut bedient hat. I liked it.
Vielen lieben Dank an den Indieverlag Culturbooks, bei dem ich mir auf der FBM den Roman als Rezensionsexemplar mitnehmen durfte! Danke und viel Erfolg an Kathryn Scanlan für den Roman!
Aus dem Englischen von Jan Karsten
Schreibe einen Kommentar