„Der Duft des Wals“ ist der erste Roman des frankokanadischen Drehbuchautors und Übersetzers Paul Ruban. Er wurde in Kanada zu einem Überraschungserfolg.
Kein Wunder, denn auch ich fand den Roman äußerst unterhaltsam und süffig mit einem bittersüßen Nachgeschmack.
Der Duft des Wals ist in diesem Fall wie auf dem Klappentext angekündigt, der Duft des Verfalls, denn der Wal liegt verwesend am Strand.
Oder eigentlich ist bereits auf Grund der Verwesungsgase explodiert und hat sich überall am Strand verteilt.
Und nicht nur am Strand, sondern auch in und auf dem luxuriösen All-inclusive- Resort des tropischen Urlaubsparadieses, das den Schauplatz des Roman bildet.
In diesem Resort platziert Paul Ruban allerlei verschiedene Figuren mit ihren mehr oder minder schwierigen Problemen, die sich dort eigentlich eine Auszeit vom Alltag erhoffen.
Allen voran das Ehepaar Judith und Hugo mit ihrer Tochter Ava, deren Ehe in einer schweren Krise steckt. Aber wo eigentlich ein paar schwül-heiße Tage und entspannte Drinks am Pool die Leidenschaft wieder neu entflammen sollten, ist der Geruch des Wals bald nur noch mit einer unangenehmen Nasenklammer zu ertragen.
Was stinkt hier so?
Die Tochter Ava versucht sich in der Zwischenzeit mit einem wirklich omnipräsenten „Etch A Sketch“ (wohl eine Art Zaubertafel) die Zeit zu vertreiben.
Neben dieser kleinen, kurz vor der Trennung stehenden Familie hat sich Ruban noch ein paar andere liebenswerte und skurrile Figuren ausgedacht: das schwer verliebte ältere Hotelfaktotum Waldemar soll sich um die Bereitung des Gestanks kümmern, ein narkoleptisches Zimmermädchen ist dabei Objekt seiner Begierde. Die bußfertige Stewardess Céleste arbeitet daran eine alte Schuld abzutragen, um endlich einen Geist loszuwerden.
Natürlich liegt die Analogie des nicht zu vertreibenden Geruchs des Wals auf der Hand. Es ist das gestankgewordene Unbehagen, das auf universeller Ebene durch unseren moralisch zweifelhaften Lebensstil ausgelöst wird.
Ruban baut immer wieder kleine Andeutungen ein, die das unterstreichen: die zerstörte Natur durch den Tourismus, die Ausbeutung billiger Arbeitskräfte, die ungleiche Verteilung von Ressourcen. Und auf der individuellen Ebene der Figuren sind es die Gefühle und Probleme, die irgendwann nicht mehr geleugnet oder unterdrückt werden können.
Obwohl mich der Roman wirklich sehr gut unterhalten hat, bin ich am Schluss nicht ganz zufrieden. Das Ende finde ich grundsätzlich stimmig, ist mir aber persönlich zu überhastet und zu überfrachtet ausgearbeitet worden.
Trotzdem ist „Der Duft des Wals“ meiner Meinung nach ein sehr empfehlenswerter Roman voll mit humorvoller Gesellschaftskritik mit einer kleinen Bitternote im Abgang.
Vielen lieben Dank an die Aufbau Verlage für das schöne Rezensionsexemplar.
Aus dem Französischen von Jennifer Dummer
Schreibe einen Kommentar