Die echtere Wirklichkeit von Raphaela Edelbauer

Geschrieben von:

die echtere Wirklichkeit Raphaela Edelbauer Rezension

Dementsprechend gespannt war ich natürlich auf ihren neuen Roman.

Und dementsprechend war ich mental auf eine fordernde Lektüre eingestellt.

Denn die Romane von Edelbauer kann ich quasi nicht im herkömmlichen Sinn lesen und verstehen. Ich durchlebe sie in einem Rausch traumhafter Verwirrung und Desorientierung.

Auch bei „Die echtere Wirklichkeit“ habe ich wieder das Gefühl permanenter intellektueller Überforderung. Ihr neuer Roman ist hochgradig philosophisch, gesellschaftskritisch und stellt die aktuellen Fragen unserer Zeit.

Ihre Protagonistin heißt Byproxy oder bürgerlich Petra, und ist eine junge Frau, die im Rollstuhl sitzt. Natürlich wählt Edelbauer nicht irgendwelche Namen, sondern alles hat Bedeutung. Oder manchmal eben auch nicht.

Byproxy hat sich einer philosophischen Aktivismusgruppe angeschlossen, die aus dem Untergrund agiert und eine klare Agenda hat.

„Aletheia – das bedeutet auf Altgriechisch Wahrheit, es ist aber auch der Name einer mythologischen Person, der Göttin der Wirklichkeit, der Tochter des Zeus. Dieser Name ist Programm. Wir sind eine Gruppe, der der Verlust der Wahrheit in der Gesellschaft, der das Zeitalter der post-truth, wie man heute sagt, ein Dorn im Auge ist.“

Der Gegensatz von Wahrheit und Meinung, der in heute immer mehr verschwimmt, ist der zentrale Diskussionspunkt in Edelbauers Roman, und das philosophische und agitative Hauptanliegen von Aletheia.

Allerdings ist sich die Gruppe selbst nicht einig, ob sie ihre Ziele durch Kunstaktionen, Aktivismus oder Terrorismus erreichen will. Aufmerksamkeit oder Disruption?

Bis Byproxy zu der Gruppe stößt und sie auf die dilettantische Lächerlichkeit und Wirkungslosigkeit ihrer bisherigen Aktionen aufmerksam macht.

Die Figur Byproxy gefällt mir ausgesprochen gut. Edelbauer legt sie als Mensch mit Alexithymie an (sorry, aber wenn du Fremdwörter scheust, sind Edelbauers Romane nichts für dich).

„Man nennt einen Menschen, der wahlweise die Gefühlslagen, die in ihm herrschen, nicht benennen kann oder die Identifikation derselben durch eine allgemeine Dunkelheit verunmöglicht sieht, alexithym.“

Durch Byproxys dissoziatives Verhältnis zur sogenannten »normalen emotionalen Reaktion kommt Edelbauers trockener und zynischer Humor bestens zur Geltung. 

Neben der politischen und gesellschaftlichen Ebene des Romans gibt es noch eine persönliche Ebene mit der Geschichte von Byproxy (und natürlich hängt alles mit allem zusammen).

In Rückblicken erzählt sie die bis in die Kindheit zurückreichende Beziehungsgeschichte zu Dorothee, die dann bei dem Autounfall, der der Grund für Byproxys Wirbelsäulenverletzung war, gestorben ist.

Definitiv schreibt Edelbauer für eine intellektuell exklusive Leserschaft, ich möchte aber betonen, dass eine vollständige Durchdringung ihrer Texte gar nicht unbedingt notwendig ist und die Romane vielleicht auch gar nicht so konzeptioniert sind. Vielmehr gelingt es Edelbauer durch ihren einzigartigen Stil bei mir unbekannte Denkräume aufzustoßen und mich für einen Moment mental aufs nächste Level zu heben. Ich fühle mich dann kurz frei von Logik, chronologischen Abläufen und Realitäten. Ich fühle mich kurz schwerelos.

  • die echtere Wirklichkeit Raphaela Edelbauer Klappentext
  • Raphaela Edelbauer

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

2 Antworten zu „Die echtere Wirklichkeit von Raphaela Edelbauer“

  1. Avatar von friedrich hahn

    danke für die besprechung. jetzt weiß ich, was ich nicht lese.

Entdecke mehr von Lust auf Literatur | Literatur Blog

Jetzt abonnieren, dann bekommst du meine Buchtipps direkt in dein Email Postfach!