Okay, wow, „Die Töchter des Bärenjägers“ war so ganz anders als ich erwartet hatte. Unbequemer, nicht ganz rund und mit einiger Reibungsfläche für mich als Leser*in.
Aber wo Reibung ist, entsteht Wärme und so hinterlassen „Die Töchter des Bärenjägers“ bei mir einen bleibenden Eindruck.
Ich begegne den sieben Schwestern zuerst mit den Augen einer außenstehenden Beobachterin. Ich treffe sie an ihrem Marktstand, an dem sie mit großem Spektakel ihre Ware verkaufen. Ein Geruch aus „Baumharz, Schweiß und ungewaschenem Unterleib“.
Dann tauche ich in ihre Geschichte ein, die von einer Ethnologin erzählt wird.
Ein Bärenjäger lebt auf einem abgelegenen Hof in den finnischen Wäldern und zeugt mit seiner Frau sieben Töchter. Die Mädchen wachsen in der Abgeschiedenheit auf, fast ohne Kontakt zur modernen Welt. Sie lernen nicht lesen und sie gehen nicht zur Schule. Auf dem Hof gilt das Recht des Stärkeren und das ist der Vater. Sein Wort ist Gesetz, die Mutter ist mental angeschlagen und überfordert.
Die Schwestern wachsen mit wenig Liebe, wild und komplett wertefrei auf.
Bald nach dem Tod des Vaters, der von einem Bären getötet wird, stirbt auch die Mutter an einer Krankheit. Die jungen Frauen sind froh, dem strengen und gewalttätigen Griff der Mutter entkommen zu sein. Trauer empfinden sie nur für den Vater. Ihn und seine Lebensweisheiten verehren sie wie einen Gott.
Um ihr freies und wildes Leben behalten zu können, beschließt die älteste Tochter Johanna, stets der Liebling des Vaters, in die weit abgelegene Jagdhütte des Vaters zu ziehen, um sich dem Zugriff der Behörden und der Zivilisation zu entziehen.
Doch für ein Leben in der Wildnis muss man planvoll vorgehen und eine starke Gemeinschaft bilden. Beides haben die Schwester im permanenten Konkurrenzkampf nie gelernt.
Kampf ums Überleben oder Kampf gegeneinander?
Aber der Winter in den finnischen Wäldern ist lang und hart…und nicht nur der Winter ist hart, auch die Schwester sind hart zueinander und zu sich selbst.
Die Gemeinschaft der Schwestern ist eine Zwangsgemeinschaft aus Mangel an Alternativen. Manche Szene erinnern in ihrer Wildheit und menschlichen Gewalt an Herr der Fliegen. Der Kampf um Ressourcen wendet sich gegen die Schwächeren der Gruppe.
Individuelle Wünsche und Träume müssen hinter der Gruppenräson zurück stecken und werden unterdrückt. Der Hunger nach Kultur, der Hunger nach Bildung und der Hunger nach Liebe glimmt im Verborgenen.
Jordahls Roman bricht mit meinen Lesegewohnheiten, mit Geschlechterstereotypen, er zitiert und bricht gleichzeitig mit dem klassischen Survival Wildnis Abenteuerroman.
Ich hatte anfangs einige Probleme, mit dem Erzählstil Jordahls warm zu werden. Die ernste und brutale Stimmung wird manchmal von absurden, fast lustigen Episoden durchbrochen und fühlt sich oft nicht stimmig an. Es herrscht derber Pragmatismus und eine derbe Ausdrucksweise, es wird geprügelt, geraucht, gesoffen und gef…
Lange frage ich mich, welche Richtung der Roman am Schluss nehmen wird. Hier zeigt sich meiner Meinung nach die schriftstellerische Kunst Jordahls, denn der Epilog führt die Geschichte der Schwestern wieder auf vertrauten Boden und zu einem realistischen und gutem Abschluss.
“Wann ist eine Geschichte zu Ende? Nie. Sie geht weiter bis ins Unendliche.”
„Die Töchter des Bärenjägers“ war eine wilde und ungewöhnliche Lektüre, die noch in mir nachhallt und mir sehr gut gefallen hat!
Wenn dich das Cover nicht sowie schon anspricht, dann empfehle ich dir auf jeden Fall einen zweiten Blick auf den Roman der mehrfach ausgezeichneten schwedischen Autorin zu werfen!
Ein großes Dankeschön an den Hoffmann und Campe Verlag für das schöne Rezensionsexemplar!
Aus dem Schwedischen von Nina Hoyer

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