◽️ „Eine Frau geht. Sie verlässt die Kinder, den Mann, das Haus, den Freundeskreis. Sie verlässt eine Idylle, sie bricht ins Ungewisse auf. Warum? Wofür?“. – Soweit der Klappentext, der den Inhalt des kurzen Romans „Gute Menschen“ gut zusammenfasst.
Dieses „Warum?“.
◽️ Claire, die Frau, spürt ein wachsendes Unbehagen angesichts ihres Lebensentwurfs, seit sie in einer Flüchlingsunterkunft ehrenamtlich hilft. Claire, die Frau, und Andreas, der Mann, sind nämlich eines dieser Paare. Ein Paar, das in ihrem Freundeskreis und in der Gesellschaft überall bewundert und insgeheim beneidet wird. Die große Liebe, zwei Kinder, tolle Jobs und ein Haus, das genau im richtigen Maß stylisch ist, ohne spießig zu sein. Ein Paar, mit dem man auch im Alltag noch spontan gute Parties feiern kann. Es passt.
◽️ Nur für Claire passt es nicht mehr.
◽️ Behrens zeigt in ihrem außergewöhnlichen sprachlichem Stil, wie der Alltag in der Komfortzone zum Gefängnis werden kann, das nur so lange gemütlich ist, solange man gewisse Fragen aus dem Blickfeld schiebt. Für Claire ist das irgendwann nicht mehr möglich, v.a. nach einem eindringlichen Gespräch mit der gleichaltrigen Awatef. Das Gefühl von Nutzlosigkeit angesichts der Flüchtlingsnot und den schwierigen Lebensbedingungen anderswo, gärt in ihr, bis sie nicht mal mehr den After-Shave Geruch von Andreas ertragen kann, stellvertretend für die Dekadenz ihres/unseres Lebensstils.
◽️ Meine Meinung zu Sigrid Behrens (@dramaprosa) Roman „Gute Menschen“ ist zwiespältig. Einerseits überfordert mich der komplexe, experimentell angehauchte, sprachlich anspruchsvolle Stil, anderseits zwingt er mich dazu sorgfältig zu lesen und den Inhalt wahrhaft zu erfassen. Ein vollständiges Eintauchen und Verschmelzen mit der Geschichte, das ich beim Lesen so mag, passiert nicht, stattdessen muss ich mich aktiv um das Verstehen bemühen.
Im Zweifel für den Zweifel
◽️ Am Schluss des Romans entsteht ein Gefühl, dass ich gut kenne. Das Gefühl, wenn die Kleinigkeiten des Alltags mich so fest umspannen, dass eine Verbindung mit mir selbst und zu meinen Liebsten nicht mehr möglich ist. Eine Erstarrung angesichts der notwendigen Trivialitäten unseres Lebens.
◽️ Dem minimal trash art Verlag und Jan, vielen Dank für dieses Rezensionsexemplar, das mich aus meiner literarischen Komfortzone holte!
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