Von Slata Roschal
Ein ungewöhnlicher Roman mit einem ungewöhnlichem Titel. Meine Rezensionen enthalten niemals Spoiler, was mir in diesem Fall nicht schwer fällt, denn es gibt in „Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten“ so gut wie keine Handlung im eigentlichen Sinn.
Was äußerlich in dem Roman passiert, ist in ein paar Worten kurz zusammengefasst: Die Erzählerin, eine Mutter von zwei kleinen Kindern, nimmt sich eine Auszeit in einem Hotel und hat für ihre Arbeit einen Übersetzungsauftrag in Form von ein paar historischen Briefen dabei.
Natürlich kommt sie dabei ins Nachdenken.
„Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten“ ist die detaillierte Innenansicht einer Frau, die von Elternschaft, Care Arbeit, Mental Load und Beruf so sehr eingenommen ist, dass sie schon lange ihre eigenen Gedanken nicht mehr gehört hat.
„Es ist ja alles gut, mit den Kindern, mit mir, mit mir und dir ja auch, eigentlich, es ist nur ständig dieses Eigentlich, ich spüre, dass da etwas verkehrt ist und das Äußere nicht das Innere ist, mir und den Kindern und mir und dir geht es gut, aber ich frage mich jeden Morgen, warum ich aufstehen soll.“
Während sie beginnt die Briefe zu übersetzen, entsteht endlich ein Vakuum in ihrem Kopf und es treten Gedanken und Gefühle wieder nach vorne.
Sie beginnt, dem Briefeschreiber aus der Vergangenheit zu antworten und von ihrem Leben zu erzählen. Anfangs noch geordnet und zusammenhängend, geraten ihre Gedanken zunehmend außer Kontrolle und immer mehr drängt ungeordnet a die Oberfläche.
Tiefgang unter der Oberfläche
Diesen Prozess spiegelt Roschal im Aufbau und im Schreibstil von „Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten“ wieder.
Angefangene, nicht zu Ende geführte Sätze, wie nicht zu Ende gebrachte Gedanken.
Aus Zerstreutheit oder weil sie unangemessen sind? Nicht gedacht werden sollen?
Diese Zurückhaltung verliert sich zunehmend im weiteren Text. Die Schreibweise wird ausufernder, entgrenzter, tabuloser.
Verdrängte, verrückte Wünsche treten zu Tage, werden ausgesprochen, ausgeschrieben, dem Briefpartner anvertraut.
Ich kann mitverfolgen, wie das Geschriebene der Erzählerin immer weiter zerfließt, sich ausbreitet, in der ungewohnten Freiheit des Hotelzimmers frei assoziierend mäandert.
Da ich viele der Gefühle und Gedanken der Erzählerin auf Grund eigener Erfahrungen mit Elternschaft nachvollziehen konnte, hatte ich einen guten Zugang zu dem Roman. In der geschilderten Ambivalenz zwischen Zärtlichkeit und Liebe zu den Kinder und der gleichzeitigen Überforderung und ja, auch zeitweisen Lustlosigkeit, sich um sie zu kümmern, fand ich mich wieder und hatte eine gute Lesezeit.
Ob das anderen Leser*innen auch so empfinden würden? Thematisch und stilistisch ist der Roman von Slata Roschal sehr speziell und wird vermutlich mehr das literarische als das Massenpublikum für sich gewinnen können.
Hast du Lust auf Literatur?
Vielen lieben Dank an die Ullstein Buch Verlage, wo der Roman gerade super fresh erschienen ist, für das Rezensionsexemplar!
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