So ganz war ich nicht vorbereitet auf dieses schwierige und disputable Thema, das Sandra Hoffmann in ihrem Roman behandelt. Und doch beschäftigt mich das Thema Verantwortung und Begehren seit längerem im weiteren Zusammenhang und wird in meinem näheren Umfeld diskutiert.
Hoffmanns Protagonistin ist Claire, eine lebenserfahrene Frau, die sich aus dem sozialen und gesellschaftlichen Netz entfernt hat und sich alleine in einer Hütte im Wald am wohlsten fühlt.
Es sind ihre Gedanken, ihr Lebensweg und ihre Entscheidungen, die Hoffmann ins Zentrum des Romans stellt. Nach und nach erfahre ich in Rückblicken, warum Claire den sozialen Beziehungen den Rücken gekehrt hat und sie nicht mehr das Risiko einer Beziehung eingehen möchte.
Ihre sichere Welt gerät ins Wanken, als sie bei einem Waldcamp für Jugendliche, die sie leitet, den 16-jährigen Janis kennenlernt. Zwischen den beiden entwickelt sich eine besondere beidseitige Anziehung und Verbindung. Nach dem Camp bricht ihr Kontakt ab, aber in Gedanken beschäftigt die Begegnung beide nachhaltig.
Eines Tages taucht Janis überraschend und unangemeldet bei Claire am Waldhaus auf…
Die äußere Handlung von “Jetzt bist du da” ist sehr reduziert, Hoffmann gestaltet ihren Roman wie ein Kammerspiel.
Es gibt zwei Handelnde und zwei Perspektiven.
Hoffmann lässt keinen Zweifel über die Gegensätze zwischen Janis und Claire und stellt sie gegenüber: der unerfahrene Jugendliche, der gerade mitten im sensiblen Prozess des Erwachsen werdens nach Orientierung sucht, und die ältere Frau, die die Welt nicht mehr romantisieren kann.
Die Gedanken sind frei?
Der Charakter und die Natur der Anziehung und Beziehung zwischen Claire und Janis lotet Hoffmann tief gehend aus und geht dahin, wo es schmerzt. Sie geht in die Vergangenheit von Claire als Kind und Jugendliche und beschreibt dort eine große Scham und ihre Ursachen. Hier geht Hoffmann äußerst sensibel vor und vermeidet jede Pauschalisierung und schwarz-weiß Malerei.
Das gefällt mir, und ich empfinde es teilweise als widersprüchlich unangenehm und intim, so tief in die komplexe Gedankenwelt Claires einzudringen.
Mir gefällt der literarisch meisterliche Romanaufbau, in dem Hoffmann die Handlung und die Motive der jungen Claire in der Gegenwart spiegelt und doch verfremdet.
Der Roman lädt mich ein, in Gedanken mit den Rahmenbedingungen der von Hoffmann gewählten Konstellation zu spielen und so durch die Genzverschiebungen meinen eigenen moralischen Rahmen zu finden.
Meine persönlichen Kritikpunkte: Das ausufernde Beschreiben von Wald, Natur und Tiere setzt Hoffmann als Stilmittel ein. Sie erzeugt dadurch die waldgrüne Stimmung einer abgeschiedenen Welt. Doch genauso wie der kammerspielartige Fokus auf detaillierte Tätigkeitsbeschreibungen, ist das in dieser Dosierung nicht so mein Ding. Es entsteht bei mir in manchem Lesemomenten der Eindruck einer schriftstellerischen Fingerübung. Die Figur und die Gedankenwelt von Janis bleiben für mich etwas blaß. Umso stärker und nachvollziehbar finde die Gedankengänge von Claire.
Für mich war das ein grenzerforschender, lesens- und lohnenswerter Roman. Die fesselnde und sensible Bearbeitung eines vielleicht schwierigen Themas aus ungewöhnlichem und mutigen Blickwinkel.
Vielen Dank, Sandra Hoffmann für diesen Roman und Berlin Verlag für das Rezensionsexemplar.
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