Mein Verhältnis zum Alkohol ist nicht ambivalent. Ich trinke ihn sehr gerne und hauptsächlich zur Entspannung. Aber mir ist auch bewusst, dass Alkohol eine Droge ist und der Grat zur Sucht schmal. In Deutschland ist Alkohol eine der wenigen Drogen, deren Konsum gesellschaftlich anerkannt und gewünscht wird und sogar von der Politik gefördert und propagiert wird. In dem Bundesland, in dem ich lebe, darf ich offiziell mit meinen Kinder ab 14 gemeinsam trinken.
Von daher sind mir viele der Fakten und Hintergründe aus Mia Gatows Memoir „Rausch und Klarheit“ bereits bekannt, aber die Informationsgewinnung ist auch nicht der Grund, weswegen ich mich für ihr autobiografischen Hörbuch entschieden hatte.
Der Grund ist weit profaner. Ich liebe einfach Memoirs, die auf den ersten Blick mit meinem eigenen Leben nicht viel zu tun haben. Sicher auch aus voyeuristischen Motiven, aber wahrscheinlich will ich mir eigentlich versichern, dass beispielsweise selbst ultracoole Berliner*innen, die das aufregendste Leben ever zu führen scheinen, genauso mit existenziellen Problemen zu kämpfen haben, wie ich selbst.
Aber erst mal beginnt auch Gatows Leben und auch ihr Memoir wenig glamourös, denn sie stellt ihre Herkunftsfamilie vor, in der Alkohol schon immer eine wichtige Rolle spielte und in der Alkoholismus stark verbreitet war. Ihr Großmutter soff sich wortwörtlich zu Tode. Wie normalisiert der schwerer Alkoholkonsum in ihrer Familie war, und wie sehr diese familiäre Exposition ihr eigenes Verhältnis zum Alkohol prägen wird, wird Gatow erst später in der Rückschau klar.
Gibt es eine Veranlagung zur Sucht?
Dabei experimentiert sie in ihren Teenagerjahren lieber mit anderen, scheinbar aufregenderen und illegalen Drogen, bevor sie sich als Erwachsene dem Alkohol zuwendet.
Bei Gatow geht es viel um die Definition von Alkohlismus und die Mechanismen von Sucht, die uns oft gar nicht bewusst sind. Denn auch die Grenze zum Alkoholismus verläuft fließend und ist sehr individuell.
Viele Jahre versucht Gatow ihre Grenze für den „risikoarmen Konsum“ zu finden und wird immer wieder scheitern.
Mia Gatow gehört, wie ich, zur Generation der Millenials und ich liebe die kleine Zeitreise in die Nullerjahre, auf der sich mich in ihrer Lebensgeschichte, vor allem musikalisch, mit nimmt. Ihre Mischung aus persönlicher Geschichte und gesellschaftlichen und historischen Hintergründen zur Alkoholsucht gefallen mir sehr gut, wobei mich vor allem der Zusammenhang von Frauenemanzipation und Alkoholkonsum interessiert hat. Zudem bewundere ich Gatow Offenheit, was ihr Verhältnis zu Männern und Sex angeht. Hier zeigt sie sich verletzlich und sehr reflektiert. Sie nennt ihr Verhalten eine Inszenierung als „Cool Girl“, die teilweise nur mit Alkoholkonsum aufrecht zu erhalten war.
Heute ist Gatow seit mehreren Jahren nüchtern und hat ihre eigenen Schwierigkeiten mit der Aussage „Ich bin Alkoholikerin“, wie sie differenziert in ihrem Memoir beschreibt. Auch die Anonymen Alkoholiker, mit deren Meetings Gatow letztendlich den finalen Schritt zur Nüchternheit geschafft hatte, beschreibt sie differenziert.
Für mich war Mia Gatows Memoir „Rausch und Klarheit“ wertvolle Unterhaltung, die ich auch dir empfehle, wenn dich das Thema Sucht aus einer individuellen Perspektive interessiert oder wenn du ganz einfach ein interessantes Memoir hören/lesen willst.
Erfreulicherweise wird das Hörbuch, das bei Der Hörverlag von Penguin Bücher erschienen ist, von Gatow selbst eingesprochen, was für mich sehr gut funktioniert hat.
Vielen lieben Dank an das Team vom Bloggerportal für das digitale Hörexemplar. Danke und viel Erfolg an Mia Gatow für den Roman!
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