Mittlerweile habe ich einige autobiografische Bücher zum Thema Alkoholismus gelesen, erst vor kurzem „Rausch und Klarheit“ von Mia Gatow. Auch in „Trocken“ erzählt der Autor Daniel Wagner von seiner Sucht, aber es ist… ein bisschen anders. Wagner verzichtet auf eine gesellschaftliche, soziale und/oder eine geschichtliche Einordnung von Alkoholismus. Auch zum Thema Alkoholkonsum und Gender wirst du hier keine Einlassungen finden.
Wagner erzählt in „Trocken“ kompromisslos und ehrlich von seinem Erleben der Sucht und von seinem Kampf gegen die Krankheit. Er beschreibt einen typischen Tag am Tiefpunkt seiner jahrelangen schweren Alkoholsucht und dieser Tag macht mich unglaublich betroffen und traurig. Zu diesem Zeitpunkt hat Wagner längst den Punkt erreicht, an dem er Alkohol schon gleich nach dem Aufstehen und zum klar denken und funktionieren braucht.
Aber von klar denken und funktionieren, wie wir es uns vorstellen, kann keine Rede mehr sein. Wagner braucht einen Pegel von 3 Promille im Blut um seinen Suchtdruck zu befriedigen.
Wagner ist dann der taumelnde und ungepflegte Alkoholiker, der dich auf der Strasse anpöbelt oder der betrunken in einer Hecke liegt.
Sein Selbsthass und seine Verachtung sind grenzenlos und dagegen hilft nur wieder noch mehr Alkohol.
“Mehrmals täglich bringt mich die Diskrepanz zwischen Sucht und Sehnsucht an meine Grenzen. Die Sehnsucht nach einem nüchternen Leben kämpft gegen die Sucht nach Alkohol. Die zerrende Angst und die unendliche Leere in mir kämpfen gegen den anhaltenden Rausch. Der Gewinner steht wie immer schon vorher fest. Aus meiner Trauer wird Aggression.”
Lange sieht es so aus, als würde Wagner den Kampf gegen die Sucht verlieren. Er ist suizidal. Jeder Lebenswille wurde von dem „Monster“, wie er seine Krankheit auch nennt, aufgezehrt.
Das Leben gehört der Sucht
Schonungslos und erschreckend beschreibt Wagner, was er alles an die Sucht verloren hat. Ihm fehlen ganze Lebensjahre, die er der Sucht geopfert hat. Freundschaften und Beziehungen hat dadurch zerstört, dass immer der Alkohol an erster Stelle stand. Und am allermeisten hat er sich selbst geopfert und zerstört.
“Aber das war es mir wert.
Und im Wesentlichen beschreibt, was ich da erlebt habe, das Wesen einer Sucht.
Sich selbst zu opfern, um sich lebendig zu fühlen.”
Im Kapitel „Dieses Buch“ schreibt Wagner, wieviel ihm das Schreiben seiner Geschichte abverlangt hat. Er beschreibt seine Bemühungen und Schwierigkeiten, mental in diese dunkle Zeit seines Lebens zurückzukehren. Von seinem Wunsch, wahrhaftig und echt zu schreiben. Und ich kann das beim Lesen fühlen. Es fühlt sich echt an und auch unendlich traurig. Mein Mitgefühl für den Erzähler am Tiefpunkt seiner Krankheit ist grenzenlos.
Und obwohl Wagner sicher keine pädagogische oder politische Agenda verfolgt, prangert er das Selbstverständnis an, mit dem die Droge Alkohol in unserer Gesellschaft kulturell verankert ist und selbst starker Konsum aus Profitgier normalisiert und gefördert wird. Das gilt für Österreich genauso wie für Deutschland. In dem Bundesland, in dem ich wohne, ist betreutes Trinken ab 14 Jahren legal erlaubt.
Daniel Wagner hat für mich in seinem intimen ersten Buch „Trocken“ seine Alkoholsucht und seinen Kampf erlebbar gemacht und mich damit sehr berührt. Auch literarisch zeigt Wagner mit seinem authentischen Text in seiner Verletzlichkeit und Direktheit eine große Qualität. Das Buch war für mich ein echtes Highlight.
Ich hoffe sehr, dass Wagner seine schriftstellerische Arbeit fortsetzt und ich noch weitere Bücher aus seiner Hand lesen kann.
Vielen lieben Dank an Kremayr & Scheriau und an Buch Contact für das wieder wunderschön und passend gestaltete Rezensionsexemplar. Danke und viel Erfolg an Daniel Wagner für sein Buch!
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