Die Erzählung der irischen Autorin Claire Keegan wurde erstmals unter dem Titel „Misogynie“ veröffentlicht, später wurde sie in der Original Ausgabe als „So Late in the Day“ publiziert.
Der ursprüngliche Titel ist natürlich absolut auf den Punkt, nimmt aber möglicherweise schon zu viel Interpretation vorweg.
Denn „Reichlich spät“ ist das konzentrierte Porträt eines misogynen Typens, wie es sie viele gibt. Cathal läuft nicht herum und ist offen aggressiv gegen Frauen oder dergleichen. Keegan zeigt vielmehr einen viel gewöhnlicheren Frauenhass, der (leider) viel zu oft unterschwellig und unerkannt fester Bestandteil unsere Gesellschaft ist.
Auch Cathal selbst weiß nicht, dass er Frauen hasst und wenn du ihn darauf ansprechen würdest, würde er es natürlich abstreiten. Aber seine Partnerin hält er nicht für einen eigenständigen Menschen mit Gefühlen. Eigentlich ist es ihm ja auch egal, mit wem er zusammen ist, solange die Beziehung ihm gewisse Vorteile bringt und es ihn nicht so viel kostet.
Seine Verlobte Sabine durchschaut ihn.
„[…] gut die Hälfte der Männer in deinem Alter einfach nur will, dass wir den Mund halten und euch geben, was ihr verlangt, dass ihr verzogen seid und verachtenswert werdet, wenn die Dinge nicht so laufen, wie ihr es wollt.“
Claire Keegan ist für ihren nüchternen und dichten Stil bekannt und auch in „Reichlich spät“ schafft sie es mühelos auf den wenigen Seiten komplexe Zusammenhänge punktgenau zu analysieren. Obwohl ich die groß gedruckte Erzählung wirklich in kürzester Zeit gelesen habe, hinterlässt sie bei mir einen intensiven Eindruck.
Großartige Literatur auf engstem Raum!
Ich bedanke mich sehr beim Steidl Verlag für das unglaublich schöne, leinengebunden Rezensionsexemplar!
Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser
Weitere Besprechungen findest du unter anderem bei Hauke in seinem Leseschatz und bei Petra in der Bücherapotheke.
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