Warum verhalten sich manche Männer wie Arschlöcher? Warum behandeln sie ihre Mitmenschen, Partnerinnen und Situationships schlecht? Oder tun sogar noch wesentlich Schlimmeres?
Mein persönlicher Gedanke dazu ist ziemlich schlicht: weil sie es können. Wenn du es komplexer ausdrücken willst, kann ich auf struktureller Ebene natürlich die sexistische, misogyne und patriarchale Gesellschaft erwähnen, in der wir alle leben und die unser Verhalten beeinflusst. Die Zusammenhänge, die Ursachen und die historische Entwicklung unserer jetzigen Lebensweise sind komplex.
Auf individueller Ebene sind die Gründe für männliches, arschlochmäßiges Verhalten natürlich genauso komplex und liegen bestimmt in der Kindheit und den Umständen. Safe.
Das ist auch der Ansatz, den Charlotte Runcie in ihrem Roman „Standing Ovations“ verfolgt.
In ihrem Roman gibt es ein echtes Arschloch. Er heißt Alex, schreibt Theaterkritiken für eine Zeitung und ist mit Runcies Ich-Erzählerin Sophie befreundet, die ebenfalls für die Zeitung arbeitet.
Alex besucht das Stück der Soloperformerin Haley Sinclair und schreibt danach eine vernichtende Kritik, einen seiner in der Kulturszene von Edinburgh berüchtigten Verriße. Ebenfalls am gleichen Abend trifft er Sinclair in einer Kneipe, die beiden finden sich nett und haben einen One-Night Stand.
Erst am nächsten Morgen erfährt Sinclair, dass sie gerade mit dem Mann geschlafen hat, dessen Verriß ihres Stückes sie in der Zeitung liest.
Ein echter Arschloch-Move.
Sinclair ist verständlicherweise on fire! Sie ändert ihre Performance in „Die Sache mit Alex Lyons“ und erzählt öffentlich ihre Geschichte. Die Sache schlägt in der Kulturszenen immer größere Wellen und immer mehr Frauen erzählen, welche schlechten Erfahrungen sie mit Alex und mit Männern im allgemeinen gemacht haben.
Runcies Erzählerin Sophie steht zwischen den Stühlen: einerseits ist sie mit Alex befreundet und sieht auch seine Qualitäten, fühlt sich sogar von ihm angezogen. Andererseits fühlt sie sich als Frau solidarisch mit Sinclair und versteht ihre Wut.
Für wen gibt es „Standing Ovations“
Eigentlich ist „Standing Ovations“ nicht nur ein Roman über das Verhältnis von Männer und Frauen, sondern vielmehr ein Entwicklungsroman.
Denn Sophie hat noch mit anderen Problemen zu kämpfen. Sie ist vor kurzem Mutter geworden und in der Beziehung zu ihrem Freund gibt es einige unaufgearbeitete Probleme. Ich finde, dass auch er sich wie ein Arschloch verhält.
Was mich persönlich an dem ganzen Roman stört, ist die relative Naivität der Erzählerin und wie sich letztendlich der öffentliche Zwist der beiden Kontrahenten am Ende auflöst. Vielleicht bin ich zu abgestumpft, aber ich muss eigentlich nur eine Nachrichtenwebseite mit den neuesten Meldungen über toxisches männliches Verhalten aufrufen und wie es gesellschaftlich und strafrechtlich geahndet wird, um die Auflösung als unrealistisch zu empfinden.
Dennoch, Runcie bemüht sich um eine ausgewogene Betrachtung des Konfliktes und zeigt, dass es niemals ein einfaches Schwarz und Weiß geben kann.
Für mich, die ich mich selber viel mit der Natur von Rezensionen und Kritiken beschäftige, waren auch die Gedanken die Runcie als Kulturkolumnistin zu diesem Thema einbringt, sehr interessant und unterhaltsam.
Aber dass sich eine erfahrene Journalistin wie Sophie sich ernsthaft noch fragt, ob eine ernsthafte Theaterkritik auch mit möglicherweise nur einem von fünf möglichen Sterne moralisch vertretbar ist angesichts der Mühen und der hehren Absichten der Schaffenden, kann ich kaum glauben.
Runcies Schreibstil möchte ich hier sehr positiv hervorheben. Der Roman liest sich flüssig, sehr unterhaltsam und ist in keinem Moment auch nur tendenziell langweilig.
Für Leser*innen, die jetzt vielleicht nicht immer die super-heftige feministisch-deepe Analyse brauchen, ist „Standing Ovations“ eine gute Empfehlung. Von mir gibt es aber genau deswegen nur 3 von 5 Sternen.
Vielen lieben Dank an den Piper Verlag für das schöne Rezensionsexemplar. Danke und viel Erfolg an Charlotte Runcie für den Roman!
Aus dem Englischen von Katharina Martl
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