Es gibt, wie schon öfter erwähnt, diese Romane, die ich auf keinen Fall einem meiner technikaffinen Nicht-lesenden Kollegen in die Hand drücken würde, um ihrer Lust am Lesen zu wecken.
Dazu gehört zweifellos auch „Toni & Toni“. Sie würden das Buch entnervt nach einer Seite in die Ecke werfen und ihre Vorurteile gegenüber einer gewissen intellektuellen Abgehobenenheit der Literaturszene wäre perfekt bestätigt.
Hier lesen aber nicht meine Kollegen, sondern literaturbegeisterte Lesende, die Freude am Ausreizen von sprachlichen Grenzen haben und sich auch gerne auf experimentellere Leseerlebnisse einlassen.
Der unabhängige Literaturverlag Droschl ist dafür Experte und hat sich mit den Wiener Max Oravin einen besonderen Debütroman an Bord geholt.
Oravins Protagonist Toni lernt Japanisch um den Buddhismus besser zu verstehen. Er hat sich zum Lernen einen genauen Plan gemacht. Er meditiert viel. Ein kontemplatives Leben, unterbrochen von den Maßnahmen der Agentur für Arbeit.
Seine Reflektionen über Sutren und die genaue Bedeutung von Kanjis können mich jetzt nicht so wirklich abholen. Begriffe wie Zazen und mnemonisch muss ich nachschlagen. Das ist machbar, aber für mich anstrengend und meinem Lesevergnügen nicht zuträglich.
literarisch hochwertig oder abgehoben?
“kein Fühlen kein Wahrnehmen kein Wollen kein Denken kein Auge kein Ohr keine Nase keine Zunge kein Körper kein Geist keine Farbe kein Ton kein Geruch kein Geschmack keine Berührung kein Ding. Ich streife mit den Augen über den Text 無色無受想行識無眼耳鼻舌身意無色聲香味觸法無眼界乃至無意識界”
Nicht nur Toni, sondern auch seine Lebensgefährtin Toni stecken in einer großen Krise. Die Tänzerin, die stark zu selbst verletzenden Verhalten neigt, seit einem Unfall ihre Kunst nicht mehr ausüben und verlässt kaum mehr die Wohnung. Sie zeigt ein stark depressives Verhalten.
Toni verliert sich in Gefühlen von Schuld und Verantwortung und seine obsessive Beschäftigung mit dem Japanischen ist eine ähnlich Lebensverweigerung.
Sprachlich finde ich Oravins Roman sehr anspruchsvoll, wenn auch mit ganz eigener Strömung, die den stillen Bach ganz schnell in reisenden und gefährlichen Strudel verwandelt kann. Am interessantesten fand ich die Beziehungsdynamik zwischen den beiden Tonis, da wäre ich emotional gerne näher ran gekommen. Ansonsten war Tonis philosophisches und introspektives Reflektieren nicht wirklich für mich (be-)greifbar, auch wenn ich die Schönheit des sich letztendlich ohne Ende schließenden Kreises am Schluss wage erahnen kann.
“Ein jedes Wort der japanischen Sprache wäre damit, in meinem Vorhaben, ein vollkommener Ausdruck allen Sprechens und allen Seins. Aber was tun, wenn mir die Sprache entgleitet? Müsste nicht, hinter den Worten, das reine Land sprachlos sein?”
Ich würde sagen, “Toni & Toni” ist wirklich nur für einen kleinen, feinen Kreis von Leser*innen, die nach dem Besonderen suchen, wirklich ein Vergnügen. Aber wer weiß, vielleicht gehörst du ja dazu?
Vielen lieben Dank an den Literaturverlag Droschl und Kirchner Kommunikation für das Rezensionsexemplar und Danke und viel Erfolg an Max Oravin für den Roman! Und jetzt natürlich Gratulation zur Nominierung auf die Longlist für den Buchpreis 2024!
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