Anton Hur ist ein multinationaler Dolmetscher und Übersetzer, der in Stockholm geboren wurde und heute in Seoul und auf der Science-Fiction-Insel Songdo lebt. “Toward Eternity” wird von der Presse bereits als brillant und spektakulär gepriesen und ich denke, dass das deutsche Feuilleton diese Ansicht teilen wird.
Für mich selbst war der Roman eine dieser nahezu transzendentalen Leseerfahrungen: Die Atmosphäre entrückt mich toward eternity und ich atme einen Hauch von Unsterblichkeit.
Es war für mich auch einer dieser Romane, zu dessen Geschichten und Interpretationsebenen ich sicher keinen vollständigen Zugang habe. Und das ist einen Teil der Faszination.
Anton Hur erzählt eine über einen sehr langen Zeitraum angelegte Geschichte und beginnt in der nahen Zukunft. Durch eine neue experimentelle Therapieform ist es möglich, alle Zellen im menschlichen Körper durch Naniten zu ersetzen. Selbst bislang tödlicher Krebs ist dadurch heilbar. Der so behandelte Mensch wird unsterblich.
Aber bleibt der Mensch bzw. sein Bewusstsein dabei unverändert?
In der gleichen nahen Zukunft hat die Entwicklung von KI große Fortschritte gemacht. Es ist dem Literaturwissenschaftler Yonghun erstmals gelungen, eine KI zu erschaffen, die Gedichte verstehen, eigenständig interpretieren und nachempfinden kann. Hat sie dadurch ein Bewusstsein erlangt?
Kann eine KI unsterblich werden?
Was sich jetzt in dieser verkürzten Beschreibung der Ausgangssituation wie klassische Science Fiction ausmacht, entwickelt sich im weiteren Verlauf des Romans (und der Jahrhunderte) zu einem spannenden und ziemlich philosophischen Gedankenexperiment. Hur will der Frage auf den Grund gehen, was uns als Menschen ausmacht und einzigartig macht.
Wenn es unsere Sterblichkeit wäre – was verändert sich dann, wenn wir Unsterblichkeit erlangen?
“Das Leben ist giftig; wie alle Gifte ist es in niedrigen Dosen heilsam und in hohen tödlich. Und ich hatte zu viel Leben gehabt. Ich hatte wissen wollen, was es bedeutete, ein Mensch zu sein. Jetzt wusste ich es.
Es bedeutete, dass ich sterben wollte.”
Mich erinnert der Roman an einige Filme, die ich gesehen habe, von “Matrix” bis “A.I.”. Mich hat “Toward Eternity” ein bißchen a die großartigen Romane von Emily St. John Mandel erinnert. Obwohl sie sich stilistisch nicht ähnlich sind und emotional eine andere Sprache sprechen.
Anton Hur hat den Roman so gestaltet, dass es den Eindruck erweckt, ich lese in einem über die Jahrhunderte geführten Notizbuch, in das verschiedene Figuren ihre Geschichte und Erlebnisse geschrieben haben. Das ist auf der einen Seite natürlich erzähltechnisch interessant, auf der anderen Seite unterstreicht es die Metaebene seines Romans.
“Was können wir denn anderes sein als Geschichten über uns, die wir uns selbst erzählen?”
Mochte ich sehr gerne und fand ich schon ziemlich besonders. Definitiv nicht nur was für Sci-Fi Leser*innen!
Interessanter Sidefact: Anton Hur hat die für Booker Prize 2022 gelistete Kurzgeschichtensammlung von Bora Chung, die auf Deutsch als “Der Fluch des Hasen” erschienen ist, ins Englische übersetzt.
Aus dem Englischen von Cornelius Reiber
Vielen Dank an die S. Fischer Verlage für das wunderschöne Rezensionsexemplar. Danke und viel Erfolg an Anton Hur für das deutsche Erscheinen seines Romans!
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