Zerrissene Sonne von Jean D‘Amérique

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Zerrissene Sonne Jean D‘Amérique Rezension

Haiti, und generell viele Staaten der Karibik, sind bei mir weiße Flecken auf der literarischen Landkarte, und ich vermute bei vielen anderen europäischen Leser*innen auch.

Es ist der Debütroman „Zerrissene Sonne“ von Jean D’Amérique, geboren 1994 in Côte-de-Fer, Haiti, der für seine Lyrik und Theaterarbeit bereits mit mehreren französischen Preisen ausgezeichnet wurde. Mittlerweile ist er Leiter des Festivals Transe Poétique und der Lyrikzeitschrift Davertige.

Bei seinem Roman fällt mir als erstes seine sprachliche Gestaltung auf. Es liegt auf der Hand, dass D‘Amérique ein großes Gespür und Talent für Poetik hat, denn seine Sprache ist unglaublich metapherreich und bildgewaltig.

Dabei sind seine Sprachbilder immer besonders und ungewöhnlich und schlagen sich mit Widerhacken in meine abgenutzten Lesegewohnheiten.

Dabei arbeitet er mit extremen Kontrasten in seiner Geschichte, die viel von blutdurstiger Gewalt berichtet. Und von einem Land, in dem ein Menschenleben nicht viel wert ist.

Zerrissene Sonne, zerrissenes Land, zerrissene Menschen

Seine Protagonistin, die junge Tête Fêlée, Tochter einer Prostituierten und eines Gangstersöldners, lebt in im Viertel eines Slums, in dem schon lange nur noch das Recht des Stärkeren gilt.

Vor diesen düsteren und menschenunwürdigen Lebensbedingungen, leuchten die wenige Momente aus Liebe und Zärtlichkeit ums stärker und strahlender.

“In meinem Herzen stecken Rosen für Silence, in meinen Augenwinkeln flattern Schmetterlinge auf, ich träume davon, blütenzart zu sein, um mich ihrer Schönheit zu nähern, hoffe darauf, mich in Tau verwandeln zu können, um ihrer Morgenröte gerecht zu werden.”

Im Laufe des Romans werden die hellen Momente seltener, bis sie ganz verschwinden. Denn D‘Amériques Roman ist wenig hoffnungsvoll. Er sondern zeigt ungeschönt und dramatisch die Zerrissenheit und Verlorenheit eines politisch instabilen und von Naturkatastrophen gebeutelten Landes und seiner sich bekämpfenden Menschen.

“Das Volk glaubt schon lange nicht mehr an die des Staates, die bloß Handelsware ist. Gerechtigkeit ist ohnehin keine Staatsangelegenheit, die Menschen können die Dinge doch eigenständig mit ihren Händen oder mit einem einfachen Zaubertrick selbst regeln.”

Und immer wieder die Sonne. Die Sonne ist das titelgebende Sprachbild, dass mich durch den ganzen Roman begleitet. Und es ist dieselbe Sonne, die gleichermaßen auf Tête Fêlées Leid scheint, wie auf mich in meinem sicheren Zuhause.

Um sich das bewusst zu machen, ist es vielleicht wichtig, dass solche Romane und Stimmen verlegt und gelesen werden. Auch wenn es sicherlich bequemere Lektüre gibt.

“Du wirst … Du wirst allein sein in der großen Nacht.”

Aus dem Französischen von Rike Bolte

  • Zerrissene Sonne Jean D‘Amérique Klappentext
  • Jean D‘Amérique

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