Wie so oft schreibe ich auch bei diesem Roman „Autobiografie meines Körpers“ meine Rezension direkt nach dem Beenden des Romans.
Und ich bin immer noch unglaublich aufgewühlt nach diesem herzzerreißenden Schluss. Wahrscheinlich kann hier niemand ungerührt bleiben, so weit dringt Spit ins Ende unserer menschlichen Existenz ein.
Mit ihrem vierten Roman hat die belgische Schriftstellerin ihr vermutlich persönlichstes und autofiktionalstes Werk vorgelegt. Ich kenne und liebe alle ihre Romane und halte Spit für eine großartige Autorin und Analystin der menschlichen Abgründe. Außerdem fesselt mich ihre spannende Dramaturgie dermaßen, dass ich ihre Bücher kaum aus der Hand legen kann, bei gleichzeitiger Angst, die nächste Seite zu lesen. „Und es schmilzt“ war eines meiner großen Lesehighlights der letzten Jahre.
In „Autobiografie meines Körper“ verändert sich das Leben der Erzählerin Lize schlagartig, als ihre Mutter sie mit einer „Mitteilung“ überrascht: Bei ihr besteht der Verdacht auf Speiseröhrenkrebs.
Leider bestätigt sich die Diagnose schnell und es ist klar, dass die Mutter daran sterben wird. Bald.
In den Monaten, die auf die Diagnose folgen, geht die Erzählerin in ihren Gedanken zurück in ihre Kindheit, die von außen nach einer ganz gewöhnlichen Kindheit in den 90ern in einem kleinen belgischen Dorf aussah.
Doch von innen sieht es in der Familie ganz anders aus. Lize und ihre drei Geschwister leiden unter der Alkoholkrankheit ihrer Mutter.
„Jahrelang war Alkohol das Erste, woran ich morgens dachte, sogar damals, als ich noch nie einen Tropfen getrunken hatte. Würde es wieder ein Tag werden, an dem es aus dem Ruder laufen würde?“
Die Ehe der beiden Elternteile ist schlecht, über Gefühle und Bedürfnisse der Kinder wird wenig bis gar nicht gesprochen.
Lize selbst erkrankt als Kind an Diabetes Typ 1. Auch hier wird über die psychischen Auswirkungen und Veränderungen durch diese einschneidende Krankheit wenig gesprochen, von Lize wird erwartet, dass sie die Krankheit managt.
„Autobiografie meines Körpers“ – und die einer Mutter-Tochter-Beziehung
Als ihre Mutter so schwer an Krebs erkrankt, weiß Lize, dass die Möglichkeiten ihrer Mutter noch einmal näher zu kommen, schwinden. Sie hat den Wunsch, dem Schweigen und den Verletzungen aus ihrer Kindheit auf den Grund zu gehen, sie für sich aufzulösen, vielleicht einen Grund zu finden.
Dabei hadert die erwachsene Lize selbst mit ihrem Alkoholkonsum und ihren Erinnerungen.
„Ich wollte dir verzeihen, dir nahe kommen, auf jede erdenkliche Weise, und so warf ich die kostbarste Regel über Bord, ich versuchte, über meinen Körper zu schreiben und über deinen und trank gelegentlich etwas während des Schreibens. Und ich tat es noch mal und noch mal. Alkohol wirkt wie ein Teilchenbeschleuniger. Wie leicht er mich zu Erinnerungen durchdringen ließ.“
Was Lize Spit in „Autobiografie meines Körpers“ schildert ist eine emotionale, schmerzhafte und tiefgehende Untersuchungen einer belasteten Mutter-Tochter Beziehung. Mehr möchte ich dazu gar nicht schreiben, weil meine Gedanken dazu fast zu persönlich und intim sind, als das ich sie hier teilen möchte.
Was aber ich teilen kann und möchte, ist meine große Begeisterung über Spits großes schriftstellerisches Können. Wie nur wenige andere Schriftstellerinnen erreicht sie mich auch mit diesem Roman wieder auf der vollen emotionalen Breitseite.
„Das Schreiben ist meine heimliche Stadt, die ich in deinem blinden Winkel errichtet habe, eine prächtige, sichere Stadt, die wichtiger ist als mein ganzer Körper und alle ihm innewohnenden Schwächen, eine Stadt mit Türmen, Vergnügungsparks, Seilbahnen, Bahnhöfen, Parks, Schulen, kleinen Häusern, Hüpfburgen, Bauernhöfen, Bergen und Meer, alles erbaut, um nicht zu enden wie du.“
Nach dem Beenden des Romans bin ich voller Gefühle. Es ist eine Mischung aus Trauer, Mitgefühl und Verbundenheit. Aber auch von dem Wunsch, meinen eigenen Kindern nahe zu sein, sie vor derartigem toxischen Schweigen zu schützen.
„Die Zeit geht schnell, nutzt sie gut.“
Ein großes Dankeschön an die S. Fischer Verlage für das Rezensionsexemplar mit der wunderschönen und ausgefallenen Covergestaltung. Danke und viel Erfolg an Lize Spit für ihren Roman!
Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen





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