ACQUA ALTA von Isabelle Autissier

Geschrieben von:

Acqua Alta Isabelle Autissier Rezension

Die französische Schriftstellerin Autissier konnte mich vor Jahren mit ihrem intensiven Roman „Herz auf Eis“ für sich gewinnen. Auch der Nachfolgeroman “Klara vergessen“ von 2020 konnte mich zwar nicht richtig begeistern, ich habe ihn aber gerne gelesen.

Auch die Kurzbeschreibung zu „Acqua alta“ versprach spannende Unterhaltung.

Nach abgeschlossener Lektüre kann ich sagen, dass Autissiers Zauber diesmal bei mir nicht gewirkt hat. „Acqua alta“ funktionierte für mich gut als gesellschaftskritische Parabel, aber nicht als menschliches oder gar individuelles Psychogramm.

Die einrahmende Handlung skizziert ein nicht unwahrscheinliches dystopisches Szenario: Venedig wurde durch ein stürmisches Hochwasser und die daraus resultierende Kettenreaktion komplett zerstört. Die Schutzmechanismen versagten und Autissiers Protogonist, der Stadtrat und Industrielle Guido, irrt durch die Trümmer der Stadt auf der Suche nach seiner Frau und Tochter. Es gibt nur wenige Überlebende und Guido wurde durch einen Glücksfall nur schwer verletzt.

Dabei war die Katastrophe abzusehen. Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen warnen, ebenso wie beim globalen Klimaschutz, schon seit langen vor den Folgen von Umweltzerstörung und der Maximierung der Gewinne um jeden Preis.

Guido selbst stand an der Spitze derer, die mit immer neuen Ideen und Konzepten immer mehr Tourist*innen nach Venedig locken wollte. Eine milliardenteure Schutzmauer diente als Feigenblatt zur Beibehaltung und Ausweitung der wirtschaftlichen Ausbeutung der Lagune.

Léa, seine 18 jährige Tochter, ist Aktivistin und hat sich im Streit von ihrer Familie, vor allem von ihrem Vater Guido, entfernt. Sie sieht die großen Problem und möchte mit ihre Mitstreiter*innen die Lagune und die Stadt retten. 

Guide und Léa sind die beiden Gegenpole im Streit um die Zukunft von Venedig und stehen für die beiden widerstreitenden Kräfte in unserer Gesellschaft. Es trennt sie nicht nur der Generationenkonflikt, sondern auch die Gesellschaftsklassen. Denn während Guido sich seinen Reichtum und den gesellschaftlichen Aufstieg hart erarbeiten musste, wurden Léa diese Gaben qua Geburt ungefragt geschenkt. 

Zwei Gegenpole

Keiner der beiden ist bereit einen Schritt aufeinander zuzugehen…

Ich finde Autissiers Erzählstill gefällig, aber etwas altmodisch, schwerfällig und etwas angestaubt. Die antigonistischen Figuren Guido und Léa wirken zu klein um all die Projektionen der beiden gegenüberstehenden gesellschaftlichen Pole in sich aufzunehmen. Sie wirken holzbrettartig und haben wenig Raum für Indiviudalität. Die arme Maria Alba, Guidos Ehefrau und Léas Mutter, wirkt gar wie eine Karrikatur der devoten Politikergattin aus altem Adel.

Autissier lässt so gut wie kein Klischee aus. Natürlich hat die junge Studentin Léa eine Affäre mit ihrem älteren Professor. 

Sätze wie:

“Und mit siebzehn Jahren auf einmal die Geliebte eines fast fünfzigjährigen Mannes zu werden, gibt ihr das Gefühl, jetzt eine Frau zu sein.”

empfinde ich als problematisch, wenn sie im Kontext nicht kritisch bearbeitet werden.

Auch diese Prämisse finde ich psychologisch ein wenig zu kurz gegriffen. Ich glaube, Menschen, selbst Männer, sind komplexer, verletzlicher und vielfältiger.

Denn nicht nur Venedig, sondern unsere ganze Welt, wird untergehen, wenn wir unser Verhalten und unseren Lebenstil nicht ändern.

“Die Vorstellung ist umso unerträglicher, als das Szenario bereits im Voraus feststeht und man genau weiß, warum und was auf welche Weise zu tun wäre, und trotzdem niemand etwas tut oder nur so wenig.”

  • Isabelle Autissier
  • Acqua Alta Klappentext

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert