APPIUS UND VIRGINIA von G.E. Trevelyan

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Appius und Virginia G.E Trevelyan Rezension

Oh ja, das war super gut!

Ich lese eigentlich fast nur zeitgenößische Literatur, aber ich hatte große Lust auf „Appius und Virginia“, das 1932 erschienen ist. 

Den darin geschilderte Versuch, einen Affen wie ein Menschenkind aufzuziehen und ihm sprechen und menschliches Denken beizubringen, finde ich in vielerlei Hinsicht absolut faszinierend und absolut verstörend!

Trevelyan erzählt die Geschichte von der Soziologin Virginia Hutton, die beschließt, als Forschungstudie einen Affen wie ein Baby zu behandeln, um zu erforschen, ob und wie weit er zu einem Menschen geformt werden kann. In der absoluten Abgeschiedenheit eines kleinen Cottages richtet sich die Forscherin mit dem Affen ein und unterrichtet ihn erst im laufen und sprechen, später im Lesen und Schreiben.

Appius nennt seine einzige Bezugsperson Virginia „Mama“, und auch Virginia entwickelt gegenüber Appius merkwürdig ambivalente Muttergefühle. Die Studienarbeit gerät schnell in Vergessenheit und Appius und Virginia bilden ein makaberes Mutter-Sohn Gespann. Ich empfinde die Beziehung mit dem immensen Machtgefälle als äußerst ungesunde gegenseitige Abhängigkeit, die auf Seiten Virginias von moralisch sehr fragwürdigen und egoistischen Motiven gelenkt wird.

Äußest verstörend auch die Einblicke in die Erziehungsmethoden der Zeit und das Kinder- bzw. Menschenbild. 

Ein Spiegel der Zeit?

Für mich war der Roman durchaus ein absoluter Pageturner mit sehr gesellschaftskritischem Ansatz und feministischer Subtitel, wie mir beim Lesen des wertvollen Nachworts der Schriftstellerin Ann Cotten erst so richtig bewusst wird.

„Appius und Virginia“ ist offen für viele Interpretationsansätze. Ich las als Elternteil vor allem die Kritik an dem wahnwitzigen Glauben von der Formbarkeit einer jeden Kreatur und an der Allmachts- und Kontrollfantasie von Menschen mit Macht heraus. 

Aber auch andere, weit philosophischere Gedankengänge und Fragen in Richtung Descartes bieten sich an.

Der Roman, einschließlich des Nachwortes und der editorischen Notiz der Übersetzerin Renate Haen, war für mich ein ganz besonders Leseerlebnis, das mich auf mehreren Ebenen großartig unterhalten hat.

Gertrude Eileen Trevelyan starb 1941 mit nur 37 Jahre bei der Bombadierung Londons.

Note: wer sich für das Thema grundsätzlich interessiert, aber lieber einen zeitgenössischen Roman lesen, will, kann zu „Sprich mit mir“ von T.C. Boyle greifen. Der hat mir aber persönlich so wenig gefallen, das er meine langjährige Boyle Phase (erst mal) beendet hat.

  • Appius und Virginia Klappentext

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