Manchmal zögere ich, wenn ich befürchte, eine Lektüre könnte für mich zu anspruchsvoll oder zu schwierig sein. Manche Text verschließen sich vor mir und ich kann sie weder intellektuell noch emotional erfassen.
Nicht so „Augustblau“. Ich bin verzaubert und ich berauscht angesichts der Schöhnheit und Tiefschichtigkeit von Levys Prosa. Ein Roman, der mich emotional und intellektuell komplett mitgenommen hat.
„Augustblau“ macht es mir leicht, einen Zugang zu finden. Ich liebe Geschichten über Wunderkinder, gleich welcher Art, und sie sind ein beliebter Topos in der Literatur. Es kommt bei den erwachsen gewordenen Wunderkindern irgendwann zu Aussetzern, meistens natürlich in der Drucksituation eines größeren Auftritts, die auf ungelöste innere Konflikte hinweisen.
Genauso geht es Elsa M. Anderson, der klavierspielenden Ich-Ezählerin in Levys Romans. Rachmaninows 2. Klavierkonzert verweigert sich ihr, ihre Finger führen plötzlich ein Eigenleben und spielen während eines Auftritts ein ganz anderes Stück.
Wer bin ich?
Das stürzt sie in eine tiefe Identitätskrise. Sie wurde als Kind von ihrem Klavierlehrer adoptiert. An ihre Mutter hat sich nur verschwommene Erinnerungen und die Adoptionsakte hat sie nie gelesen. Hat der Klavierlehrer die Vaterrolle in ihrem Leben übernommen? Liegen ihrem künstlerischem Black-out vergrabene Sehnsüchte zu Grunde?
„Ich war sein Wunderkind, aber ich war nicht sein Kind.“
Mittlerweile liegt ihr alter Mentor im Sterben und die Erzählerin reist zu ihm, um noch etwas Zeit mit ihm zu verbringen.
Daneben gibt es noch eine geheimnisvolle Doppelgängerin, die sie zu verfolgen scheint. Elsa hatte ihren Hut mitgenommen hat, nachdem sie ihr zwei mechanische Tanzpferde vor der Nase weggekauft hatte. Es gibt die Geschichten von zwei privaten Klavierschüler*innen, die der Erzählerin helfen, ihre Situation zu reflektieren. Und die Geschichte von Elsas unbekannter Mutter.
Ich kann nicht benennen, wie Levy diese Verzauberung genau bewerkestelligt. Sind es die kleinen surrealen Elemente, die der Geschichte einen schwebenden Charakter verleiht? Ist es die direkte emotionale Ansprache durch den poetischen Schreibstil?
Die Lebensweisheit die in manchen, unscheinbar scheinenden Sätzen steckt?
Wahrscheinlich eine Kombination aus allem in perfekten Mischungsverhältnis.
Aber vielleicht würde die Geschichte auch durch zu genaues Hinblicken ihren Zauber verlieren, so wie die magischen mechanischen Tanzpferde, wenn man sie öffnet.
Auf jeden Fall war „Augustblau“ ein unerwartetes Lesehighlight, das ich dir auf jedem Fall auch empfehle, wenn du vielleicht manchmal, wie ich, Angst vor zu anspruchsvoller Lektüre hast!
Vielen lieben Dank an den AKI Verlag und Vivian für das nette Gespräch auf der FFB203 und das Rezensionsexemplar!
Auf dem Cover siehst du eine Fotoarbeit der Künstlerin Shirana Shahbazi.
Übersetzt von Marion Hertle.
Schreibe einen Kommentar