BYE BYE LOLITA von Lea Ruckpaul

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Bye Bye Lolita Lea Ruckpaul

“Humbert Humbert verachtet Frauen. Er hält sich für wertvoller.”

Auch in meinen erwachsenen Lesejahren habe ich den Roman noch mehrmals gelesen, mir aber komischerweise nie eine Verfilmung angesehen. Das hätte sich für mich irgendwie nicht richtig angefühlt, sondern wie eine greifbare Manifestation meines Voyeurismus.

Jetzt ist dieser Roman “Bye Bye Lolita” von Lea Ruckpaul erschienen, den ich auf jeden Fall lesen musste! Er erzählt die gleiche Geschichte wie Nabokov, aber nicht aus der Sicht des pädokriminellen Humbert Humbert, sondern er nimmt die Perspektive von Dolores Haze, genannt Lolita, ein.

Und natürlich ist es dann auch nicht mehr die gleiche Geschichte.

In “Bye Bye Lolita” ist Dolores mittlerweile über 40 und blickt zurück auf ihre Kinder- und Jungendzeit, als HH in ihr Leben und das ihrer Mutter trat. Ich bin überrascht, wie genau sich Ruckpaul gerade in den ersten Kapiteln an die Vorlage hält. Es gibt fast identische Szenen, die jetzt aus der Sicht von Dolores erzählt werden. Die von Ruckpaul entworfene Persönlichkeit und ihre Erzählstimme finde ich absolut stimmig und deckt sich komplett mit meinem eigenen Bild, das ich mir von dem lieblos aufgewachsenen und orientierungslosen Mädchen gemacht hatte.

Manchmal wirkt es fast so, als versucht sich Dolores in dieser Rückschau zu rechtfertigen oder die Kritik vorwegzunehmen, warum sie nicht weggelaufen ist oder sich Hilfe geholt hat. Vielleicht will sie dem patriarchalen Mythos zuvorkommen, dass zu geringer (körperlicher) Widerstand mit Einvernehmlichkeit gleichzusetzen ist?

Welche Spuren hinterlässt Missbrauch?

Richtig interessant und gut gelungen finde ich die Romanteile, die sich an die Handlung aus „Lolita“ anschließen. Ruckpaul findet für die Tatsache, dass Lolita nach HHs Bericht in Nabokovs Roman eigentlich jung gestorben ist, eine clevere und glaubhafte Lösung, die nahtlos die beiden Handlungsteile miteinander verknüpft.

Wie erging es der jungen Dolores, nachdem sie der Missbrauchssituation entkommen ist? Wo lebt sie heute? Wie sehr hat die Zeit mit HH sie geprägt?

Ruckpaul denkt den Lebenslauf von Dolores weiter und ich folge ihr fasziniert.

Ich will dir hier nicht zu viel verraten, denn in diesen Teilen ihres Romans hat sich Ruckpaul (logischerweise) komplett von der Nabokovs Vorlage freigemacht und gibt Dolores eine komplett eigene Stimme, die sie im Laufe der Zeit entwickelt und mit der sie versucht sich von ihrer Vergangenheit und von HH zu emanzipieren.

Auch das Bild von Charlotte Haze von der klammernden, oberflächlichen Männerjägerin, das HHs male gaze gezeichnet hatte, wird durch Dolores späte Auseinandersetzung mit ihrer Mutter zurecht gerückt. 

Mich konnte „Bye Bye Lolita“ sehr begeistern. Und das liegt nicht nur am hohen Unterhaltungsfaktor des Romans, sondern am feministischen Grundtenor, der vor allem in der zweiten Hälfte den Blick von Lolita auf den strukturellen Sexismus und die Misogynie richtet, die uns alle betrifft.

“Es geht nicht um die Gewalt eines Mannes gegen ein Mädchen. Es geht um die Gewalt von Männern gegen Generationen von Frauen.

Von Männern, denen selbst Gewalt angetan wurde. Die um all die Empathie gebracht wurden, die sie hätten empfinden können.”

Große Leseempfehlung!

  • Bye Bye Lolita Lea Ruckpaul Klappentext
  • Lea Ruckpaul

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Eine Antwort zu „BYE BYE LOLITA von Lea Ruckpaul“

  1. […] was ich sehr passend finde, da sich Sinnos Buch somit nahtlos an meine Lektüre des fiktiven „Bye Bye Lolita“ von Lea Ruckpaul […]