Ich habe gerade einen dicken, fetten Kloß im Hals. Ich habe nämlich gerade die letzten Seiten von „Cinema Love“ gelesen, diesem schrecklich schönen, traurigen und so vielschichtigen Roman.
„Cinema Love“ ist der Debütroman des chinesisch-amerikanischen Schriftstellers Jiaming Tang. Und ich hoffe und vermute, dass er auf großes und begeistertes Echo stoßen wird.
In den ersten Kapiteln steht verbotene, homosexuelle Liebe zwischen Männern im China der 80er im Mittelpunkt der Geschichte. Im Mawai Arbeiterkino haben sich die Männer einen privaten Safe Space geschaffen, wo sich treffen und sich in der Dunkelheit körperlich näher kommen können.
Viele der Männer sind verheiratet und leben nach außen ein heterornormatives Leben. Und viele können selbst nur schwer verstehen und akzeptieren, dass es die Liebe und die Körper von Männern ist, nach der sie sich sehen.
“Unsere Körper kannten die Wahrheit, aber unsere Köpfe konnten sie nicht akzeptieren.”
Auch Old Second und Shun-Er fühlen sich schon lange von einander angezogen und haben im Kino einen geheimen Zufluchtsort gefunden, wo sie sich begegnen können.
“Keiner von beiden spricht es aus, aber sie wissen, dass ihre Freundschaft nicht normal ist. Würde man sie erwischen, gäbe es Gerüchte.”
Doch der Zufluchtsort wird verraten und schließlich trotz Proteste und Demonstrationen zerstört. Es gibt schreckliche Verluste und Schmerz.
Danach wandern einige, Männer wie Frauen, nach Amerika aus, wo sie sich ein besseres und freieres Leben erhoffen.
Doch der amerikanische Traum platzt nach der Ankunft und stellt sich schnell als kapitalistische Lüge heraus. Jiaming Tang beleuchtet das traurige Leben der chinesischen Migrant*innen, die in China Restaurants und Shopping Malls als billige Arbeitskräfte ausgebeutet werden. Und trotzdem versuchen sie sich in ihren Community kleine Gemeinschaft aufzubauen, die an die verlassene Heimat erinnern sollen.
Cinema Love
Gerade an die Heimat, die sie aus Not und Verzweiflung verlassen haben. Es ist nicht die einzige vielschichtige Ambivalenz, die Tang in seinem Roman aufgreift.
Während es im ersten Teil mehr um die verbotene Liebe und heimliche Leben der Männer ging, rücken im weiteren Verlauf zunehmend die Frauen in den Vordergrund. Ich lese wie sich Bao Mei, Yan Hua und ihren Freundinnen in den USA zurechtfinden. Einige waren und sind mit homosexuellen Männer verheiratet und sind ebenfalls die Leidtragenden eines gesellschaftlichen Standards, der nur die Verbindungen zwischen Mann und Frau kennt und akzeptiert.
“Er kam nie auf den Gedanken, dass Menschen wie wir überhaupt existieren. Dass es so etwas wie gleichgeschlechtliche Liebe geben kann.«”
Das Arbeiterkino in Mawei war ein Ort der Liebe für die Männer – und gleichzeitig Ort des Betrugs und der Demütigung für die Frauen.
Es ist für mich ein sehr wichtiger Punkt, dass Jiaming Tang diese Ambivalenz so deutlich herausarbeitet. Dass er nicht nur den Männer und ihren Geschichten eine Stimme gibt, sondern auch klar zeigt, dass sie nicht die einzigen Verlierer und Leidtragenden ihrer verleugneten und unterdrückten Sexualität sind.
Dass gefällt mir wirklich extrem gut und unterscheidet „Cinema Love“ von vielen Romanen ähnlicher Art. Gleichzeitig steckt noch so viel mehr in diesem bewegenden Roman, der seine Figuren über viele Jahrzehnte beim Älterwerden begleitet.
Es ist auch eine große, emotionale Geschichte über Verrat, Schuld und Vergebung.
Und am Schluss auch eine Geschichte von unerfüllten und zerstörten Leben und Träumen, die aber nicht unversöhnlich oder hoffnungslos endet.
Keine Frage, als Roman ist „Cinema Love“ großes Kino und in seiner Botschaft ein starkes Pläydoyer für eine bunte und freie Gesellschaft, etwas das heute eigentlich selbstverständlich sein sollte, aber gerade leider wieder so notwendig und dringend gebraucht wird.
Große Leseempfehlung für dieses Wahnsinns Debüt!
Vielen lieben Dank an den Klett-Cotta Verlag für das gewünschte Rezensionsexemplar. Danke und viel Erfolg an Jiaming Tang für den Roman!
Aus dem Englischen von Nicolai von Schweder-Schreiner
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