Ich lese sehr gerne Literatur aus Japan und die Kurzbeschreibung von „Das Loch“ hat mich sofort angesprochen. Der preisgekrönte zweite Roman von Hiroko Oyamada erschien in Japan bereits 2014 und ist jetzt erstmals auf deutsch erhältlich.
Mit seinen 128 Seiten ist der Roman von der Lesezeit her ein Snackbuch, aber keinesfalls inhaltlich. Tatsächlich denke ich über die Bedeutung der surrealen Szenen fast länger nach, als ich für das Lesen brauche.
Oyamadas junge Ich-Erzählerin Asahi ist frisch verheiratet und zieht mit ihrem Mann aus der Großstadt zu ihren Schwiegereltern aufs Land. Ihr Mann hat dort eine gut bezahlte und zeitintensive Arbeit, Asahi selbst hat allerdings noch keinen neuen Job in Aussicht.
Ihre Freundinnen, die sie in der Stadt zurückgelassen hat, beneiden sie um ihre Möglichkeit, als Hausfrau den ganzen Tag zu Hause bleiben zu können. Kinder wünscht sich die Erzählerin eigentlich keine, obwohl es ihr in den Augen ihres Umfelds und ihrer eigenen Meinung nach, mehr Berechtigung zum nicht Arbeiten geben würde.
Asahi fühlt einen Missklang in ihrem neuen Leben, kann aber nicht genau verorten, woher die Irritation rührt.
Dissonanzen
Ihre Schwiegereltern arbeiten ebenfalls viel und in der Hitze des ländlichen Sommers beginnt die Erzählerin ihr Umfeld und die Nachbarschaft zu erkunden.
Bei einem ihrer Spaziergänge fällt sie in Loch in der Erde. Sie kann sich mit Hilfe einer netten Nachbarin wieder befreien, aber die Irritationen und Störgedanken werden nach dem Vorfall immer mehr…
Die Stimme und der Charakter von Oyamadas Erzählerin erinnert mich sehr an die Figuren der japanischen Autorin Sayaka Murata. Sie ist beobachtend distanziert und rational analysierend. Auch inhaltlich sehe ich Ähnlichkeiten, aber mit anderen Schwerpunkten. Beide Autorinnnen greifen die Surrealität gesellschaftlicher Normen und Konventionen auf und zeigen verfremdet die Absurdität und Unmöglichkeit unseres Zusammenlebens für das Individuum.
Oyamadas Stil ist in meinen Augen aber deutlich weniger abgefahren, sondern weitaus subtiler als der von Murata. Ich lese „Das Loch“ als sehr gesellschaftskritisch und doppelbödig. Oyamada verwendet Symbole und kleine fantastische Elemente, bei denen ich aber nicht sicher sein kann, ob sie wirklich der Fanatsie der Erzählerin entspringen.
Ich fand „Das Loch“ sehr reizvoll und interessant und von der Länge genau richtig um mich als Leserin nicht in der Deutungsoffenheit zu verlieren.
Wenn du Lust auf Literatur aus Japan und/oder auf Geschichten mit surrealen Elementen interessierst, lohnt sich für dich ein Blick auf diesen Roman!
Vielen lieben Dank an den Rowohlt Verlag für das schöne Rezensionsexemplar mit dem blumigen Cover!
Aus dem Japanischen von Nora Bierich
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