Ich bin großer Fan der Autorin Murata. „Das Seidenraupenzimmer“ und „Die Ladenhüterin“ waren für mich zwei abgefahrene, spektakuläre Highlights, die die Absurdität unseres Zusammenlebens entlarven.
Diese Absurditäten, die im vermeintlich Normalen lauern, sind ebenfalls großes Thema in der Kurzgeschichtensammlung „Zeremonie des Lebens“, die ich jetzt dank eines Geburtstagsgeschenks endlich lesen durfte.
Die titelgebende Geschichte ist tatsächlich eine meiner Lieblingsgeschichten in dem Band, da sie dystopische Elemente mit fundamentaler Gesellschaftskritik kombiniert. Murata spielt mit der Wandelbarkeit unserer gerne für universel gehaltenen gesellschaftlichen Moralstandards.
Aber was heute state of the art ist, ist morgen entartet.
„Normalität ist ja auch eine Art von Wahnsinn. Und eben die einzige Art von Wahnsinn, die auf dieser Welt erlaubt ist.“
Natürlich gefallen mir auch die Ansätze von weiblicher Selbstermächtigung, die mal mehr oder weniger durchscheinen, sehr gut.
Wie auch in ihren Romanen ist ein wichtiges und immer wiederkehrendes Topos das Essen. Essen als Möglichkeit etwas in sich aufzunehmen, sich etwas einzuverleiben, sich zu verändern und Essen als Spiegel unserer gängigen Moralvorstellungen.
Der Schreibstil der japanischen Autorin ist geprägt von einem ihrer vorherrschenden Themen: der Entfremdung des Individuums durch die kontrollierten Konventionen und entmenschlichten Lebensformen unserer modernen Kultur. Er ist teilweise distanziert und beobachtend, naturalistisch und manchmal in seiner simpel anmutenden Art im harten Kontrast zu seinem extremen und komplexen Inhalt.
Die Kurzgeschichten in „Zeremonie des Lebens“ waren für mich wieder ein famoses und nachdenklich machendes Vergnügen und ich finde sie sehr empfehlenswert, wenn du offen bist für ein wenig abseitigere Lektüre.
Erschienen 2022 bei den Aufbau Verlagen.
Übersetzer:in: Ursula Gräfe
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