Als ich diesen True Crime Roman „Das Mädchen und der Tod“ über den Mord an einer chinesischen Studentin in der Vorschau des Secession Verlags gesehen hatte, wollte ich ihn auf jeden Fall lesen. Es gab eine Zeit, in der ich (sehr) viele True Crime Podcasts gehört habe. Und natürlich ist mir das Verbrechen von 2016, auf dem der Lingyuans Roman beruht, bekannt. So gut wie jeder Podcast und jedes Magazin hat über den Mord in Dessau berichtet. Ich fürchte, das liegt an der Grauenhaftigkeit, Unmenschlichkeit und Brutalität der Tat.
Auch die deutsch-chinesische Schriftstellerin Luo Lingyuan war von dem Verbrechen entsetzt. Sie wollte den Fall mit erzählerischen Mitteln untersuchen und die Ursachen der Gewalt aufdecken, wie sie selbst in der Danksagung darlegt.
Sie hat sich für zwei parallele Erzählebenen entschieden. Auf der einen Ebene begleite ich die junge Yanyan bei ihren ersten Wochen in Deutschland, in ihrer kleinen WG aus chinesischen Studentinnen. Sie möchte in Deutschland in Architekturstudium vertiefen und arbeitet fleißig um ihre Eltern stolz zu machen. Ich lerne ihre Träume und Hoffnungen für die Zukunft kennen. Sie ist eine ehrgeizige und gleichermaßen sehr hilfsbereite junge Frau, die sich auf das vor ihr liegende Leben freut.
Auf der anderen Erzählebene gibt es Ben, der von seiner Mutter alleine großgezogen wurde und die ihn vergöttert. Von ihr und ihren wechselnden Partnern hat er ein ungesundes Rollenverständnis übernommen. Er begehrt und verachtet Frauen gleichermaßen.
Kontraste in Schwarz, Weiß und Rot
Diese zwei Erzählstränge arbeitet Lingyuan komplementär zueinander aus. Schon das Cover des Romans ist in kontrastreichem schwarz und weiß gehalten. Und genauso kontrastreich sind die Geschichten und Persönlichkeiten von Yanyan und Ben. Yanyan konnte sich in ihrer liebevollen und unterstützenden Familie zu einem hilfsbereiten und empatischen Menschen entwickeln. Ben hingegen lernt nur das Gesetzt des Stärkeren und dass er sich ungestraft alles nehmen darf, was er will. Sein Empathie- und Einfühlungsvermögen wurde in seiner Familie und Kindheit nicht ausgebildet. Yanyans Zukunftsperspektiven glänzen um so mehr, wenn sie Bens Aussichten gegenübergestellt werden, dessen Weg nur in den Abgrund führen kann.
Anfangs bin ich wenig erfreut von Lingyuans sehr schlichten und sehr rudimentären Schreibstil, der mich manchmal an den das Offensichtliche erklärenden Erzählton eines Odenthal Tatortes erinnert. Doch vor dem Hintergrund dieser naiv anmutenden Schlichtheit entfesseln das reine Grauen von Bens Frauenhass und das Leid, das er über andere bringt, seine unverstellte Schrecklichkeit.
Gerade die Passagen über Bens gewalttätiger Beziehung zu seiner Freundin, und später auch zu den Kindern, sind selbst für mich als erfahrene True Crime Konsumentin grenzwertig.
Mein Hintergrundwissen über den realen Mord verbindet sich mit Lingyuans fiktiven Einblicke in die Psyche des Täters zu einer unerträglichen Mischung aus Wut, Abscheu und Verzweiflung angesichts des Ausmaßes des Frauenhasses hinter der Tat.
„Das Mädchen und der Tod“ ist ein Buch für Leser*innen, die nach Extrembereichen suchen. Nicht für Leser*innen, die sich an literarischer Subtilität erfreuen möchten.
Für diese Leseerfahrung und für das Rezensionsexemplar mit dem wunderschönen grafischen Cover bedanke ich mich beim secession Verlag. Danke und viel Erfolg an Luo Lingyuan für den Roman!
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