„Der Aufruhr unserer Herzen“ war für mich wieder ein Fall, wo der Klappentext und die Kurzbeschreibung einen ganz anderen Roman versprechen, als ich dann tatsächlich lese. Er beschreibt eine amour fou, die gegen die Enge von gesellschaftlichen Konventionen rebelliert und schließlich in den Abgrund führt. Oder so ähnlich.
Für mich war das nicht der Kern des Romans, sondern die Lebensgeschichte einer Frau im ländlichen, patriarchalen und katholischen Italien, das Lamberti über viele Jahrzehnte beschreibt und begleitet.
Auch eine lesenswerte Geschichte.
Die Jahre, die der Roman umspannt, reichen aus der Nachkiegszeit der 50er bis ins Jahr 2013, der Fokus liegt aber auf den 60er und 70ern.
Ich begleite die Protagonistin Costanza kurz durch ihre Kindheit, lerne ihre Familie kennen und lese, wie sie erwachsen wird und an der Enge ihres Heimatdorfes verzweifelt. Das gelbe Haus, in dem sie aufwächst, wurde mit Hilfe der Gemeinschaft gebaut und steht gleichermaßen für den dörflichen Zusammenhalt aber auch für die gesellschaftlich Kontrolle.
In den 70er zieht es die junge Costanza weg aus dem Dorf in die Stadt, sie findet Freund*innen, viele werden sie länger begleiten.
Ihre Begegnung mit dem drogensüchtigen Claudio führt tatsächlich zu einer langjährigen Beziehung, die ihr Leben stark beeinflussen wird. Die Sucht des vaterlos und ungewollt aufgewachsenen Claudios und der Umgang der Gesellschaft damit ist symptomatisch für die Zeit.
Auch Costanza wird viel Zeit in verschiedenen Rehabilitationszentren, später dann Resozialisierungszentren, verbringen.
Später muss sie Claudio aus dem Gefängnis in Indien zurück holen. Monatelang braucht sie dafür, hofft, die harte Zeit wäre für ihn endlich ein Ansporn für Veränderung. Aber Claudio kommt nicht von den Drogen los und Costanza nicht von Claudio.
Die Unterhaltung bleibt auf der Strecke
Lamberti hält den Erzählton immer in einer gewissen Distanz zu ihrer Figur Costanza. Ich beobachte sie immer von außen, muss vermuten, wie sie sich fühlt, was sie denkt. Diese analytische Herangehensweise gefällt mir persönlich nicht so gut. Auch der Schreibstil, den ich wenig modern, sondern ziemlich …schwerfällig finde, kann mich wenig begeistern.
Allerdings macht mich der Ton der Lakonie, mit dem Lamberti beispielsweise beschreibt, wie Costanza unter der Geburt ihrer einzigen Tochter schwere Verletzungen erleidet, die sie Jahrzehntelang behindern werden, fassungslos. Und er erinnert mich auch gleichzeitig daran, dass es auch heute noch große Misstände in der Frauenheilkunde gibt. Und es immer noch ein Teil eines Frauenlebens ist, dass Die Gesellschaft erwartet, dass weibliches Leid tabuisiert, verschwiegen und klaglos hingenommen wird.
Das Unglück und Leid, das struktureller Sexismus in Italien verursacht, beschreibt Lamberti nicht nur mit Costanzas Lebensgeschichte, sondern auch mit der ihrer Familie und Freundinnen.
“Der Aufruhr unserer Herzen” war aber für mich in Summe ein Roman, den ich dir wegen dem geringen Unterhaltungsfaktor und der schwerfälligen Lesart nicht weiterempfehlen würde, es sei denn du interessierst dich wirklich explizit für italienische Literatur. Ginevra Lamberti ist in Italien bereits eine viel beachtete und geehrte Schriftstellerin.
Vielen Dank an den Piper Verlag für das Rezensionsexemplar mit dem schönen Cover. Danke und viel Erfolg an Ginevra Lamberti für den Roman!
Übersetzt von: Annette Kopetzki
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