Was für ein Glück, dass ich bei dem Roman „Der Junge“ auf die Blurbs vertraut hatte.
Denn das Cover finde ich persönlich nicht besonders ansprechend und der Autor fällt jetzt auch nicht unbedingt in mein Leseschema.
Aber «Dieses Buch spricht zu einem. Man liest es mit einem Gefühl von anhaltendem Staunen.» sagt der Corriere della Sera.
Dann nach 50 Seiten überlege ich schon fast, ob ich den Roman nicht lieber weglegen sollte. Wie ich bereits vom Klappentext weiß, wird es in dem Roman um ein totes Kind gehen. Aber die Beschreibung der Explosion, in der kleine Nuco umkommt und die der vielen anderen toten Kinder sind plastisch und drastisch. Und genauso ist es die Trauer der Eltern und Großeltern. Eine kurze Recherche ergab, dass es die von Aramburu beschriebene Gasexplosion in einer baskischen Schule 1980 wirklich gab und sogar bei Wikipedia auf der Liste der größten künstlichen, nichtnuklearen Explosionen geführt wird. Dabei kamen wahrscheinlich 50 Kinder ums Leben.
Das geht mir sehr nahe, vor allem weil ich selbst gerade einen Sohn im Alter des kleinen Jungen habe.
Nicht nur der Tod steht im Mittelpunkt von Aramburus Roman, sondern auch die Trauer der Hinterbliebenen, allen voran Nucos Mutter, Vater und Großvater. Alle drei haben unterschiedliche Arten mit ihrem Schmerz umzugehen.
Während der Großvater den Tod seines einzigen und sehr geliebten Enkels nicht wahrhaben will und einfach nicht zur Kenntnis nimmt, drängt Nucos Vater auf eine erneute Schwangerschaft.
Nucos Mutter Marieje ist eine der Hauptzerzählenden und steht der Idee einer erneuten Schwangerschaft skeptisch gegenüber.
Dafür hat sie neben der Trauer ihre ganz eigenen Gründe.
Aramburu, ein mehrfach preisgekrönter spanischer Schriftsteller, der in in Deutschland lebt, arbeitet in seinem neuen und kurzen Roman sehr geschickt mit den verschiedenen Perspektiven. Hauptsächlich lässt er den Großvater und Marieje erzählen und arbeitet ihre Gefühls- und Gedankenwelt plastisch und nachvollziehbar aus.
Er fügt in „Der Junge“ sogar noch eine weitere Erzähldimension hinzu, indem er den Text selbst sprechen lässt. Das gefällt mir sehr gut und ergänzt und erweitert die Geschichte perfekt.
Unter der Trauer um den toten Sohn leidet letztendlich auch die Ehe von Nucos Eltern. Und der große Verlust zieht noch weiteres Unglück nach sich…
Ganz zum Schluss meldet sich der Text selber noch mal zu Wort:
“Mehr verlange ich gar nicht: sinnvoll sein, in dem einen oder anderen Bewusstsein eine Spur hinterlassen.”
Bei mir ist das gelungen. Nach der letzten Seite bin ich ergriffen, bewegt, traurig und gleichzeitig befreit.
So muss Literatur.
Eine klare Leseempfehlung für diesen kurzen und besonderen Roman!
Vielen lieben Dank an den Rowohlt Verlag für dieses gewünschte Rezensionsexemplar.
Aus dem Spanischen von Willi Zurbrüggen
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