Liest du gerne autobiografische Reflektionen? Ich definitiv schon. Deswegen lies mich der Untertitel „Autobiographie eines Prozesses“ und die Kurzbeschreibung von „Die roten Stellen“ das Buch unverzüglich in meinen Einkaufskorb legen.
Maggie Nelson verarbeitet in ihrem Buch, das im Original bereits 2007 erschien, die Folgen des Mordes an ihrer Tante auf sie selbst und ihre Familie. Die Schwester ihrer Mutter wurde 1969, noch vor der Geburt von Nelson, brutal ermordet. 30 Jahre später wird der Fall erneut aufgerollt. Neue DNA-Auswertungen bringen einen möglichen Täter vor Gericht.
Den Prozess selbst nimmt Nelson als Anlass und Ausgangspunkt für ihren autobiographischen Text.
In äußerst tiefgründiger Analyse nähert sie sich dem Thema Trauer und Trauma. Ihr eigener Vater stirbt, als Nelson sehr jung ist, sehr plötzlich und überraschend.
Nelson schreibt selbst, dass ihr Buch wahrgenommen wird „als eine eigentümliche, emphatische Meditation über die Beziehung von Zeit zu Gewalt, zu Trauer, die dankenswerterweise abgetrennt ist von den grellen Rubriken namens »Tagesgeschehen«, »True Crime« oder sogar »Memoir«.“
Nelson beschäftig sich außerdem mit der Rezeption von Verbrechen an jungen Frauen in den Medien. Ich begrüße ihre feministischen Denkansätze zum Thema Femizide und Gewalt an Frauen sehr.
Mir persönlich gefielen Nelsons weitschweifende, literarische und berührend intimen Gedanken, die sie in „Die roten Stellen“ zu Papier bringt.
Ich denke aber nicht, dass es ein Buch ist, das den Massengeschmack bedient, selbst wenn der nach immer neuen Variationen des True Crime Genre giert.
„Wenige Menschen sprechen davon, was geschieht, wenn diese Flugbahn sich aufzulösen beginnt, wenn der Pfad nicht mehr vom Wald zu unterscheiden ist.
Eine leise Empfehlung für Leser*innen von autobiografischen, nicht von True-Crime, Bücher.
übersetzt aus dem Englischen von Jan Wilm
Erschienen 2020 bei Hanser Berlin.

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