Der Debütroman „Die Schlafenden“ von Anthony Passeron stand 2022 wochenlang auf der französischen Bestsellerliste und ist bereits vielfach preisgekrönt. Die Pressestimmen sind begeistert.
Auch mir gefiel die Mischung aus medizingeschichtlicher Dokumentation und autofiktionaler Familiengeschichte sehr gut.
Es ist die Geschichte seiner eigenen Familie, die Passeron in „Die Schlafenden“ verarbeitet.
Es ist die Geschichte seines Onkels, seines Vaters und seiner Großeltern, die Anfang der 80er der aufkommenden Drogen- und AIDS Pandemie hilflos und schweigend gegenüberstehen.
Anfang der 80er schlagen die Drogen, allen voran Heroin, in der französischen Provinz und den Dörfern ein und machen die Jungend abhängig. „Die Schlafenden“ liegen bald in allen Gassen. Einer davon ist Désiré, Passerons Onkel. Die Eltern wollen nicht wahrhaben, dass ihr vielversprechender Erstgeborener süchtig ist. Sie fürchten den hart erarbeiteten Status im Dorf zu verlieren.
Die physischen und psychischen Konsequenzen von Drogenkonsum werden noch nicht verstanden und Konsumment*innen wie Straftäter *innen behandelt. Parallel mit den Drogen verbreitet sich ein unbekannter Virus, der Aids verursacht.
Passeron erzählt seine Familiengeschichte im Wechsel mit einer medizinhistorischen Dokumentation der Entdeckung und der Erforschung des HI-Virus in Frankreich. Es ist frustrierend zu lesen, wie Fortschritte in der Forschung und bei der Entwicklung von Medikamenten immer wieder von Ressentiments und internationalen Streitigkeiten verlangsamt wird.
„Außerdem war mir wichtig, meine Familie in diesem Roman mit dem Problem nicht allein zu lassen. Ich wollte ihre Einsamkeit durch eine Doppelerzählung brechen, indem ich ihre intime Geschichte mit einer kollektiven wissenschaftlichen, politischen und medialen Geschichte verflocht.“ sagt Passeron selbst in einem Interview.
Kapitel immer im Wechsel
Passerons Roman ist in einem nüchternen, distanzierten Stil gehalten und hält mich emotional auf Abstand. Er lässt die Fakten und die Lebensgeschichte Désirés und seiner Familie für sich selbst sprechen. Eine literarische Dramatisierung ist angesichts der Dragik und des realen millionenfachen Leids der Drogen- und Aids Epedemie auch nicht erforderlich.
Thematisch erinnert mich Passerons Roman natürlich an „Die Optimisten“ von Rebecca Makkai, auch wenn der erzähltechnische Ansatz ein komplett anderer ist und sich nicht nur durch das Land sondern auch durch den autofiktionalen Aspekt unterscheidet.
Ich bin froh, dass Passeron mit dem Roman einen Weg gefunden hat, das jahrelange Schweigen seiner Familie zu brechen und hoffe, dass er dazu beiträgt, vergangene und gegenwärtige Diskriminierung und Ausgrenzung von HIV Betroffenen weiter in der Diskussion aufzuarbeiten .
„Während Désirés Blut allmählich seine tödliche Kraft entfaltete, sammelte sich in den Adern meines Vaters eine stumme Wut, die ihn nie mehr verlassen würde.“
Vielen Dank an den Piper Verlag für das Rezensionsexemplar. Danke und viel Erfolg für Anthony Passeron für sein Buch!
Übersetzung aus dem Französischen von Claudia Marquardt
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