Ich lese sehr gerne Romane über Elternschaft aus der Perspektive von Frauen und über die Erfahrungswelten von Müttern.
„Die Tochter“ von Guadalupe Nettel, die zu den wichtigesten Stimmen der lateinamerikanschen Literatur zählt, ist so ein Roman und er hat mir ziemlich gut gefallen.
Im Mittelpunkt stehen zwei Freundinnen Mitte 30, Laura und Alina, deren Zukunftspläne sich irgendwann essenziell unterscheiden und zwar in der Frage, ob sie gerne noch Mutter werden wollen.
Während die Ich-Erzählerin Laura das für sich kategorisch ausschließt, wird bei ihrer Freundin Alina der Kinderwunsch immer größer.
„Von nun an trennte uns ein unsichtbarer Graben: Sie betrachtete die Mutterschaft als ein erstrebenswertes Frauenschicksal, während ich mich vorsichtshalber einer Operation unterzogen hatte.“
Es dauert bei Alina und ihrem Partner eine Weile, doch schließlich wird sie tatsächlich schwanger.
Laura kann diese Entscheidung nicht nachvollziehen, freut sich aber für Alina und versucht die Freundschaft zu erhalten.
In ihr eigenes Leben hat sich mittlerweile auch ungeplant ein Kind eingeschlichen. Die alleinerziehende Mutter aus ihrer Nachbarwohnung ist offensichtlich von der Situation und mit ihrem Sohn überfordert. Die Erzählerin freundet sich mit dem Jungen an und verbringt immer mehr Zeit mit ihm.
Die Schwangerschaft von Alina hingegen läuft nicht wie geplant, sie erhält eine niederschmetternde Diognose für ihre ungeboren Tochter. Doch obwohl alle den frühen Tod des Kindes nach der Geburt prognostiziert haben, lebt die kleine Inès trotz ihrer schweren Missbildungen.
Das stellt die junge Familie vor ganz neue Herausforderungen und auch Alina fühlt sich als Mutter der Sache nicht gewachsen.
In Nettels Roman werden viele Variationen von Mutterschaft, Familie und Wahlfamilie beschrieben. Sie schreibt von Solidarität und auch von Konkurrenz unter Frauen, in deren Mittelpunkt die Liebe für ein Kind steht.
Männer spielen in diesen Verbindungen eine untergeordnete Rolle, sie sind physisch oder emotional abwesend. Nettel stellt alleine die Gefühle ihrer weiblichen Protagonistinnen in den Mittelpunkt.
Eine durchgehende Handlung mit einem klassischen Höhepunkt gibt es nicht. Es ist vielmehr ein Ausschnitt aus Leben dieser beiden Frauen und ihren (Wahl-)Familien.
Ich bin dem sehr gerne gefolgt und gerade die Geschichte der kleinen Kämpferin Inès fand ich wunderschön.
In dem Roman schwingt die Botschaft, dass das Leben manchmal Überraschungen für uns bereit hält und nicht alle davon sind notgedrungen schlecht.
Vielen lieben Dank an Luchterhand Literatur und an das Team vom Bloggerportal für das schöne Rezensionsexemplar. Danke und viel Erfolg an Guadalupe Nettel für den Roman!
Aus dem mexikanischen Spanisch von Michaela Meßner
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