„Ich habe ein beschissenes Leben in einer beschissenen Stadt“
Gunthrum, Nebraska, 1985, ist ein kleines Kaff mit den üblichen Provinzproblemen: Alkoholismus, lieblose Ehen, eine enges soziales Korsett und alles überdeckt mit religiöser Scheinheiligkeit. Ein Leben in der „Dunkelzeit“.
Da ist es nicht verwunderlich, dass die junge, lebenshungrige Peggy von zu Hause verschwindet. Doch bald schon häufen sich die Anzeichen, dass ein Verbrechen geschehen sein muss.
Der mögliche Verdächtige ist schnell ausgemacht: der zurückgebliebene Hal (ja, 1985 nennt man Menschen mit Lernschwierigkeiten noch zurückgeblieben, oder auch schlimmeres). Im Ort steigern sich die Feindseligkeiten gegen den nicht als friedfertig bekannten jungen Mann, auch wenn es keine Beweise oder eine Leiche gibt.
Hal arbeitet als Hilfsarbeiter bei dem älteren Ehepaar Alma und Clyle auf ihrer Farm und wurde von ihnen liebevoll unter die Fittiche genommen. Beide sind ungewollt und schmerzhaft kinderlos geblieben und vor allem Almas Bedürfnis, Liebe zu schenken konzentriert sich ganz auf Hal.
Bedingungslose Liebe?
Wie weit würde Alma gehen um Hal zu schützen, wenn er ein Verbrechen begangen hätte? Und würde Clyle ihr dabei folgen?
Ich finde es wunderbar, dass Flanagan hier entgegen den Regeln des Genres der langjährigen Ehe der beiden so viel Platz einräumt. Sehr vielschichtig beschreibt sie die Schwierigkeiten in deren langjähriger Beziehung, die durch den vergeblichen Kinderwunsch, den Umzug aufs Land, Fehler und Schuldzuweisungen stark gelitten hat.
Auch die toxischen Wirkmechanismen einer engen Kleinstadtgemeinde mit dem zerstörerischen sozialen Druck fängt Flanagan toll ein.
Ich lese sehr gerne solche Krimis, wo nicht die klassischen Mordermittlungen im Vordergrund stehen, sondern die psychologische Ausarbeitung der Figuren und des Milieus.
„DUNKELZEIT“ kann hier stark punkten, denn Flanagan gibt es (fast) keine Ermittler*innen, sondern sie stellt die Perspektiven von Alma und Clyle in den Mittelpunkt. Und die von Milo, dem jüngeren Bruder von Peggy. Mit Milo gibt Flanagan den Angehörigen der verschwundenen jungen Frau eine Stimme und zeigt die emotionalen Auswirkungen auf dieses festgefahrene Gefüge einer Kleinfamilie.
„Dunkelzeit ist ein vielversprechendes Krimidebüt, das sich vom Standard-Whodunit abhebt und das ich gerne gelesen habe!
Vielen Dank an den Atrium Verlag und Politycki & Partner für das ansprechende und hochwertige Rezensionsexemplar!
Aus dem Englischen von Cornelius Hartz und Stefanie Kremer
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