Äh, ja, wie gut waren bitte, diese …Texte?
Ich will sie sicher nicht Kurzgeschichten nennen, denn das greift bei der Formen- und Stilvielfalt, die Bendixen in „Eine zeitgemäße Form der Liebe“ verwendet, definitiv zu kurz.
Sie selbst nennt es „Parentale Prosa“ und das klingt natürlich wunderbar, hat mich aber, genauso wenig wie die Kurzbeschreibung, in keinster Weise auf die brachiale Wucht vorbereitet, mit der mich die Texte voll frontal überfahren haben.
Ich musste einfach alle auf einmal lesen und das passiert mir bei „Kurzgeschichten“ oder nicht zusammenhängenden Texten eigentlich nie.
Aber das ist genau der Punkt, denn die Parentale Prosa von Bendixen ist eigentlich zusammenhängend, auch wenn sie keinen Roman oder eine durchgängige Geschichte im ursprünglichen Sinn erzählt.
Sie erzählt aber durchgängig davon, was es heißt, heute ein Elternteil, nein, ich will jetzt doch spezifischer werden. Sie erzählt davon, was es heißt, heute eine Mutter zu sein.
Und die Texte sind von der Art, dass sie mich als Elternteil, oder noch spezifischer als Mutter, komplett abholen: sie sind ziemlich abgefahren und grenzwertig surreal, was ich sehr mag. Sie sind sehr, sehr feministisch und auf die Lebensrealität von Frauen ausgerichtet, was ich natürlich ebenfalls sehr abfeiere. Und dann sind sie literarisch auch noch von einer solchen Vielfalt und Qualität, dass ich es gar nicht glauben kann, dass Bendixen noch keinem breiteren Publikum bekannt ist.
Sagte ich schon, dass ich begeistert bin?
Inhaltlich deckt Bendixen ein breites Spektrum von Themen ab. Es geht häufig um die Projektionen der eigenen Schuldgefühlen als Mutter, die sich in der Abwertung von anderen Lebensmodeln äußert. Um verschiedene Erziehungsmodelle und ihren Preis, der auch im Generationenkonflikt von Müttern („Wir haben es doch auch geschafft“) einen Rolle spielt.
Verhältnismäßig viel Raum nimmt beispielsweise die multiperspektivische Schilderung eines Beinahe Verkehrsunfalls ein und seine Folgen auf die Beteiligten.
Kurz und kraftvoll – so wertvoll wie ein kleine Steak
Aber auch die kürzeren Texte, die teilweise nur eine halbe Seite einnehmen, können tief schneiden und lösen bei mir heftige Gefühle aus.
Ich kann auch gar nicht sagen, welche Texte mir besonders nahe gehen, weil ich wirklich alle sehr gelungen und stark finde. Beispielweise den Entwicklungsbericht für Fabian Hausmann, dem kleinen Löwenjungen, der dann endlich erfolgreich im Kindergarten für sozialisiert wird, finde ich sehr rührend und traurig. Die Laudatio von PD Dr. Phil.habil. Gerlinde Schultheiß-Holtkamp zur Verleihung des Ordens für Bedürfnislosigkeit hinterlässt hingegen einen bitteren Nachgeschmack und Wut.
Ich würde sagen, die Text sind größtenteils sehr gesellschaftskritisch und doppelbödig und finden wahrscheinlich nicht bei allen Leser*innen entsprechenden Nachhall. Ich selbst hatte mit „Eine zeitgemäße Form der Liebe“ eine außergewöhnlich aufregende, wenn auch leicht schmerzhafte Lesezeit.
Wenn du dich auch nur ansatzweise für eine gesellschaftskritische und feministische Auseinandersetzung von Mutterschaft interessierst, sind diese Texte ein Must-Read für dich.
Klar, dass ich mir gleich mir Bendixens Debütroman „Ich sehe alles“ , der 2016 beim unabhängigen Leipziger Poetenladen Verlag erschienen ist, bestellen musste.
„Seltsam, dass sowohl Angst als auch Liebe die Kehle zuschnüren.“
Ein großes Dankeschön an den unabhängigen Verlag Edition Nautilus für das gewünschte Rezensionsexemplar. Danke und viel Erfolg an Katharina Bendixen für ihr Buch mit der Parentalen Prosa!
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