Gleich unter der Haut von Berthe Obermanns

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Gleich unter der Haut von Berthe Obermanns Rezension

🔹 Manchmal einfach alles vergessen, einfach alles hinter sich lassen. 

Das Vergessen und das Erinnern sind die Themen, die bei mir hängenbleiben und um die Obermanns Figuren kreisen. Mich erinnert ihr erster Roman an eine griechische Tragödie, in der Art wie sie ihre Protagonist*innen zielgerichtet und unvermeidbar auf den Abgrund zusteuert. 

🔹 Wir erleben die Geschichte hauptsächlich durch die Augen des Ich-Erzählers Niklas, der nach dem Tod seiner Elter seine demenzkranke, in ihren Erinnerungen festhängenden, Oma pflegen möchte. Schuldgefühle und unendliche, unverarbeitete Trauer belasten seine junge Psyche stark, er fühlt sich „viel zu jung um ein erwachsenes Leben zu führen.“. Die Erinnerungen an die Zeit mit seinen Eltern quälen ihn. Nach dieser tragischen Erfahrung stellt er sich zunehmend die Frage nach dem Sinn des Lebens, den er nicht mehr erkennen kann. Für ihn ist alles nur noch eitel und das Leben ein Feld voll Kummerdisteln.

🔹 Dann lernt er Lou kennen.

🔹 Lou ist ein Rätsel, Lou ist innerlich und äußerlich verletzt, was Niklas sofort anzieht. Er spürt, dass Lou haltlos ist und möchte doch selbst Halt bei ihr finden. Die beiden stoßen sich ab und ziehen sich doch immer wieder an. In ganz kurzen Ausschnitten bekomme ich als Leser*in einen Einblick in Lous Innenleben. Sofort muss ich an Missbrauch denken, die wiederkehrenden Selbstverletzungen und dissoziativen Momente sprechen für ein massives Trauma.

Niklas spürt ihre Verzweiflung und möchte ihr helfen, doch sie ist in ihrer Sprachlosigkeit erstarrt und kann sich Niklas nicht anvertrauen.

Ist eine Verbindung möglich?

🔹 Mir gefallen Obermanns Beschreibung von Lous auswegloser Gedankenwelt und dass lange offen gelassen wird, was ihr zugestoßen ist. Ich erkenne in Lou vermutlich den Struggle, den das Erwachsenwerden für viele junge Menschen, auch ohne traumatische Vergangenheit, bringt, wieder.

🔹 Stark und anrührend fand ich die Szenen zwischen Niklas und seiner demenzkranken Oma. Die Verwirrung und Hilflosigkeit der alten Frau beschreibt Obermanns mit viel Verletzlichkeit. Die Pflege und Verantwortung ist für Niklas Gefängnis und Halt zugleich. Ihm fehlt die zwangsläufig die Reife um mit der Ambivalenz seiner Gefühle zwischen Schuld, Pflichtbewusstsein und Liebe umzugehen.

🔹 Das Ende ist konsequent im Stile der Tragödie gehalten und unterstreicht folgerichtig den Charakter und die fatalistische Grundstimmung dieser starken Erzählung. 

Sprachlich gefällt mir Obermanns flüssiger und direkter Stil sehr gut. Die Beschreibungen der intensiven Gefühlswelten der Figuren nehmen mich mit und schaffen ein für mich eindrückliches Leseerlebnis.

🔹 Ein Zitat nehme ich für länger mit: „Wenn es am Ende keine Erinnerungen gibt oder nur schlechte, gab es kein Leben.“

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Eine Antwort zu „Gleich unter der Haut von Berthe Obermanns“

  1. […] ihrem ersten Roman „Gleich unter der Haut“, der mir mit der Schlagkraft einer griechischen Tragödie in den Magen boxte, rüstete ich mich […]