Eine Biografie von Andreas Molitor
Braucht es wirklich noch eine weitere Biografie über einen Naziverbrecher? Wurde nicht längst alles gesagt, analysiert und geschrieben?
Auch ich finde nach dem Lesen, dass es sehr wohl lohnenswert ist, sich das Leben und den Werdegang einer der schlimmsten Kriegsverbrecher des Zweiten Weltkrieges genauer anzuschauen. Zudem liest sich die Biografie wie ein echter Pageturner und beleuchtet den historischen Kontext der Lebensspanne Görings und ordnet sie ein.
Andreas Molitor, Diplom-Volkswirt und Journalist unter anderem für die ZEIT, findet das schon. Er geht in der Einleitung und im Schlusswort kurz auf seine persönliche Motivation dazu ein, eine Biografie ganz auf der Höhe der Zeit zum Reichsminister für Luftfahrt zu schreiben.
Die Biografie ist chronologisch aufgebaut, von kleineren Zeitsprüngen, die die extremen Schwankungen in Görings Leben (vom Fliegerass des ersten Weltkrieges zum morphiumabhängigen Arbeitslosen) verdeutlichen sollen, einmal abgesehen.
Besonders die Kindheits- und Jugendjahre Görings betrachtet Molitor aus psychologischer Sicht. Er recherchiert dafür Quellen und nimmt Bezug auf andere Biografien und Analysen und ordnet sie neu ein. Vor allem die Texte der amerikanischen Psychologen Gustave M. Gilbert und Douglas M. Kelley, die während der Nürnberger Prozesse viel Zeit mit dem Angeklagten Göring verbrachten, dienen ihm als Ausgangslage.
Zudem hat Molitor als Diplom-Volkswirt ein besonderes Augenmerk auf die wirtschaftliche Situation des Dritten Reiches, die Göring als Reichsminister für Luftfahrt und mit weitreichenden Machtbefugnissen entscheidend beeinflusste.
Es gibt bereits einige Bücher über Hermann Göring
Sehr interessiert habe ich die Einordnung Molitors zum Thema Göring als morphiumsüchtiger Junkie gelesen. Er geht dabei vor allem auf Norman Ohlers „Der totale Rausch“ ein. Molitor kritisiert Ohlers Darstellung als nicht faktenbasiet und in seinem Detailreichtum für fiktiv ausgeschmückt. Görings Drogensucht wird oft übertrieben und vereinfacht als Hintergrund und Auslöser für seinen Wahnsinn herangezogen. Dabei wurde die Legende von Göring als Morphinist hauptsächlich von seinen Widersachern in Umlauf gebracht.
Mein persönlicher Grund, die Biografie zu lesen, war übrigens meine vorangegangene Lektüre von Bettina Görings Biografie „Der gute Onkel“, in der sie von ihrer Auseinandersetzung mit ihrem dunklen Familienerbe erzählt, was ich als sehr bereichernd und sehr lesenswert empfand. Ergänzend dazu wollte ich mehr über das Leben des „guten Onkels“ lesen. Auch Molitor geht kurz auf Bettina Görings Buch ein und vergleicht ihre Erinnerungen mit den real vorliegenden Fakten.
Für mich war diese Biografie von Andreas Molitor so wie ich mir eine Biografie im Idealfall wünsche. Sehr informativ und mit einer Zusammenfassung und vor allem Auswertung und Einordnung von vorhandenen Quellen und Dokumenten, dabei aber gleichermaßen spannend zu lesen und nie langweilig.
Wenn ich eine Biografie über einen der führenden Agitatoren der Nazizeit lese, lege ich außerdem besonders Wert auf eine entsprechende Benennung und Einordnung seiner Verbrechen und seiner Schuld. Das findet hier meiner Meinung nach in sehr gelungener Form statt.
Von mir gibt es für diese neue Biografie über Hermann Göring eine große Leseempfehlung für alle, die sich für deutsche Geschichte interessieren. Ich habe das Buch teilweise als Hörbuch gehört, das vereinzelt mit Original Audioaufnahmen veredelt wurde, würde hier aber auf Grund der Abbildungen und des reichhaltigen Anhangs explizit das Hardcover empfehlen.
Ein großes Dankeschön an C.H.Beck Literatur für das hochwertige und gewünschte Rezensionsexemplar. Danke und viel Erfolg an Andreas Molitor für sein Buch!





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