Juno und Jupiter leben in „Hey guten Morgen, wie geht es dir“ in einer ramponierten Altbauwohnung Mietwohnung in Leipzig. Das göttliche Paar ist Anfang 50 und kämpft mit allzu weltlichen Problemen. Jupiter ist Schriftsteller, aber seit einiger Zeit krank und pflegebedürftig. Juno kümmert sich um ihn, ist aber aufgerieben zwischen ihrer geliebten Arbeit als Tänzerin und Künstlerin und ihrem schlechten Gewissen.
Das Geld ist knapp und ihr Insektenhotel wird auch nur von einer einzelnen Wildbiene besucht.
Ablenkung findet Juno nachts im Internet wo sie über Social Media den Scammern antwortet, die ihr Profil fluten. Die Anonymität im Netz hilft ihr, ihre geheimen und unausgesprochenen Gedanken zu formulieren und bei ihnen abzuladen. Manchmal wird sie gleich blockiert, aber mit machen entwickelt sich auch ein längerer Chat. Selbst wenn sie zu erkennen gibt, dass sie den Schwindler längst durchschaut hat, schreiben ihr manche weiter.
Doch hinter jeden Scammer steckt unter den Schichten aus Lügen und falschen Geschichten immer auch ein Mensch.
Wenn der Lügner selbst belogen wird
Genauso wie den Scannern aus wirtschaftlichen Interessen gefällt es Juno digital zu einer anderen Figur werden zu können. Einer, die frei von jeder Verpflichtung und ungebunden ist, die noch jung ist und noch weit mehr als die durchschnittlichen 23 Jahre zu leben hat.
Hefters Roman thematisiert in weiten Strecken die Auflösung des Ichs in der Care Arbeit und die Angst vor dem Älter werden. Oder ist es letztendlich die Angst von der Einsamkeit, die Angst nicht mehr nützlich zu sein, sondern bedürftig zu sein und emotional zu verhungern, genauso wie die Opfer der Scammer? Den Schwindel zu durchschauen gibt Juno das Gefühl von Kontrolle und Selbstwirksamkeit.
„Leute wollten nicht wahrhaben, dass sie sterblich waren, aber zuvor wollten sie nicht wahrhaben, dass sie einsam waren.“
Juno benutzt das Internet für ihre Zwecke als Alltagsflucht, als mentalen Abladeplatz. Das Chatten mit den anonymen Männern gibt ihr den Raum nur für sich alleine, der ihr neben der Sorge um ihren Partner im Alltag nur wenig bleibt. Hefters Roman ist für mich auch ein Text über die Liebe, die unter den Belastungen des Lebens vielleicht leise wird, aber immer hörbar bleibt kann, wenn man sich darauf konzentriert.
Ein autobiografischer Text im Schutz der Göttlichkeit?
Der Roman überrascht mich sehr positiv und seine Themen treffen mich ziemlich unerwartet. Schon nach ein paar Seiten realisiere ich, dass mir Hefter hinter den Figuren Juno und Jupiter sehr intime Einblicke in ihre eigenes Leben gibt. In Jupiter kann ich unschwer Hefters Partner Jan Kuhlbrodt erkennen, von dessen autobiografischen Auseinandersetzung mit seiner MS-Erkrankung ich in „Krüppelpassion“ gelesen hatte. In Juno, die genau wie die Autorin Tänzerin ist und den Film Euphoria liebt, vermute ich ein detailgetreues Porträt Hefters. Hefter verwendet die Freiheit, die ihr diese Verfremdung gibt, um sehr fragile und verletzliche Momente und Gedanken mit den Leser*innen zu teilen. Vielleicht auch um, ähnlich wie Juno, sie zu verarbeiten. Sie loszuwerden und ihnen vielleicht durch die Offenlegung eine neue Bedeutung zu geben?
Oder vielleicht auch um mich mit dieser Schönheit und Melancholie zu beschenken, die ich ebenfalls reichlich in diesem sprachlich wunderschönen und teilweise lyrischen Roman finden kann.
„Juno blieb still. Wie schön dieser Moment war, und wie glücklich sie war, ihn erlebt zu haben, einen kostbaren Moment von wirklicher Schönheit.
Denn Schönheit war es, die am Ende im Gedächtnis blieb, nicht äußere Schönheit, sondern die Schönheit eines Moments, der völlig unerheblich war.“
„Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ war letztendlich ziemlich anders, als ich auf Grund des Klappentextes vermutet hatte und ich bin sehr froh darüber. Ich möchte diesen zarten und persönlichen Roman gerne allen ans Herz legen, die hinter einer göttlichen Fassade der Sterblichkeit begegnen wollen.
Lust auf Literatur – Leseempfehlung!
Vielen lieben Dank an den Klett Cotta Verlag für das schöne Rezensionsexemplar von „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“. Danke und viel Erfolg an Martina Hefter für ihren Roman!
❗️Kleine Korrektur: bei dem Film, der im Roman immer wieder genannt wird, handelt es sich um „Melancholia“ (Lars von Trier) nicht wie oben erwähnt „Euphoria“, Sorry! Und ob die Autorin den Film genauso mag wie Juno kann ich natürlich nur spekulieren!
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