Ich habe mittlerweile einige belletristische Romane zum Thema #metoo gelesen, viele davon haben mich begeistert und gleichzeitig gut unterhalten. Manche auch nachdenklich gemacht. „Ich warte noch immer auf eine Entschuldigung“ ist ebenfalls ein Roman zum Thema #metoo und er ist anders.
Michela Marzano schildert darin keinen einzelnen Vorfall, bei dem ich als Leser*in keinerlei Schwierigkeiten habe, dessen Übergriffigkeit und Ungerechtigkeit zu erkennen, wie es beispielsweise in „Prima facie“ der Fall ist.
Ihr Roman liest sich vielmehr wie ein autofiktionaler Essay, auch wenn sie mit ihrer Protagonistin Anna eindeutig eine fiktionale Geschichte erzählt.
Und doch gibt es zwischen Anna und Marzano Parallelen. Anna ist eigentlich Italienerin, lebt aber mittlerweile in Paris und gibt dort an der Universität ein Seminar zum #metoo. Während sie auf der einen Seite mit ihren Studierenden über gesellschaftliche Themen wie Consent, Machtverhältnisse und gesellschaftliche Veränderungen nach #metoo diskutiert, geht sie auf der anderen Erzählebene in ihren Erinnerungen bis in ihre Kindheit zurück. Sie sucht dort nach Spuren von übergriffigen Verhalten ihres Umfeldes und nach den Ursprüngen der Frage, die sie immer wieder beschäftigt:
„Wie schaffen die anderen das bloß, dass sie immer respektiert werden?“
In dieser Mischung aus Rückblicken, Gedankengängen und Episoden finde ich viele Fragen, mit denen ich mich auch schon lange auseinandersetzte und auf die ich, genauso wie Anna, noch keine finalen Antworten gefunden habe.
Anna setzt sich beispielsweise mit dem Feminismus der Virginie Despentes auseinander und damit was sexuelle Freiheit bedeutet. Was bedeutet sexuelle Freiheit speziell für Frauen im Unterschied zu Männern?
Sind wir heute wirklich frei?
Die Definition des Freiheitsbegriff geht der Frage nach dem Einverständnis voraus, über das Anna viel nachdenkt.
Sie heiratet mit 24. Will Sie es wirklich?
„Zustimmen. Heißt was? Akzeptieren. Heißt was? Ja sagen. Heißt was? Wollen. Heißt was?“
Es gibt bei Marzano viele offene Fragen und wenig eindeutige Antworten. Sie lenkt den Blick auf gesellschaftliche Strukturen und Vorfälle, die vielleicht nur auf den ersten Blick eindeutig sind. Jeffrey Epstein ist offensichtlich ein moralisch verkommener, egoistischer Verbrecher und Missbrauchstäter, aber was ist mit Ghislaine Maxwell? Ebenfalls Täterin ohne Frage, aber ist sie auch ein Opfer Epsteins?
Marzano will nicht relativieren. Marzano will, dass ich nachdenke.
Das ist ihr mit ihrem für mich sehr lesenswerten Roman sehr gelungen. Und am Schluss bietet sie doch eine Lösung an, die mir unglaublich zu Herzen geht und die ich für mich und für länger mitnehmen möchte.
Ich würde dir „Ich warte noch immer auf eine Entschuldigung“ sehr ans Herz legen, wenn du dich gedanklich gerne mit feministischen Themen auseinandersetzt und vielleicht nicht immer einen plakativen Plot möchtest um darin einzutauchen.
Michela Marzanos autobiografischen Roman „Falls ich da war, habe ich nichts gesehen“ möchte ich auch gerne noch lesen.
Vielen lieben Dank an den Eichbornverlag und an Kirchner Kommunikation für das wunderschöne Rezensionsexemplar. Danke und viel Erfolg an Michela Marzano für den Roman!
Aus dem Italienischen von Jan Schönherr.
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